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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Nun blieb sie mit starren Blicken ganze Minuten in stummer Betrachtung davor stehen. Wie hatte denn die Ähnlichkeit mit ihr so verschwinden können? Je verbissener der Maler, der niemals zufrieden war und hundertmal auf dieselbe Stelle zurückkam, daran arbeitete, desto mehr schwand allmählich diese Ähnlichkeit. Und ohne daß sie sich das erklären konnte, ohne daß sie auch nur wagte, sich das einzugestehen, empfand sie, deren Scham sich am ersten Tag empört hatte, einen immer tieferen Kummer, wenn sie sah, daß nichts mehr von ihr blieb. Ihre Freundschaft schien ihr darunter zu leiden, mit jedem Zug von ihr, der ausgelöscht wurde, fühlte sie sich ihm weniger nahe. Liebte er sie denn nicht, daß er sie so aus seinem Werk ausscheiden ließ? Und was war das für eine neue Frau, dieses unbekannte und unbestimmte Gesicht, das durch ihr eigenes durchbrach?
    Claude, der untröstlich war, daß er den Kopf verpfuscht hatte, wußte nicht recht, wie er sie bitten sollte, ihm ein paar Stunden Modell zu sitzen. Sie brauchte sich lediglich hinzusetzen, er würde nur Andeutungen festhalten. Aber er hatte sie schon so aufgebracht gesehen, daß er fürchtete, sie noch mehr zu verärgern. Nachdem er sich bereits vorgenommen hatte, sie unbekümmert darum anzuflehen, fand er nicht die rechten Worte und schämte sich auf einmal, als handelte es sich um etwas Unschickliches.
    Eines Nachmittags erschreckte er sie mit einem seiner Wutanfälle, deren er nicht Herr werden konnte, nicht einmal in ihrer Gegenwart. Nichts war in dieser Woche gelungen. Er sprach davon, sein Gemälde wieder abzuschaben, er ging wütend auf und ab und versetzte den Stühlen Fußtritte. Auf einmal packte er sie bei den Schultern und setzte sie auf den Diwan.
    »Ich bitte Sie, tun Sie mir den Gefallen, ich gehe daran zugrunde, Ehrenwort!«
    Sie war entgeistert, begriff nicht.
    »Was, was wollen Sie denn?« Als sie dann sah, daß er seine Pinsel zur Hand nahm, fügte sie unbesonnen hinzu: »Ach so … Warum haben Sie mich denn nicht schon früher darum gebeten?«
    Von selber ließ sie sich auf ein Kissen zurückfallen, sie schob einen Arm unter ihren Nacken. Aber die Überraschung und die Verwirrung darüber, daß sie so rasch eingewilligt, hatte sie ernst gestimmt; denn sie hatte nicht gewußt, daß sie dazu entschlossen war, sie hätte bestimmt geschworen, daß sie sich ihm niemals mehr als Modell zur Verfügung stellen würde.
    Entzückt rief er:
    »Wirklich? Sie willigen ein! – Himmeldonnerwetter noch mal! Was für ein verdammtes Prachtweib werden wir beide jetzt hinbauen!«
    Wiederum sagte sie, ohne zu überlegen:
    »Oh, nur den Kopf!«
    Und er stammelte hastig, wie jemand, der befürchtet, zu weit gegangen zu sein:
    »Natürlich, natürlich, nur den Kopf!«
    Vor Verlegenheit verstummten beide, er fing an zu malen, während sie, ins Leere blickend, reglos dalag und noch verstört war, daß sie einen solchen Satz über die Lippen gebracht hatte. Schon erfüllte ihr Entgegenkommen sie mit Gewissensbissen, als habe sie sich auf etwas Schuldhaftes eingelassen, weil sie duldete, daß diesem im Sonnenschein schimmernden Frauenakt Ähnlichkeit mit ihr verliehen wurde.
    In zwei Sitzungen brachte Claude den Kopf zustande. Er jubelte vor Freude, er rief, das sei das beste Stück, das er gemalt habe; und er hatte recht, niemals hatte er ein lebensvolleres Antlitz im wahren Licht gebadet.
    Glücklich, ihn so glücklich zu sehen, war auch Christine heiterer geworden, heiter darüber, daß sie ihren Kopf sehr gut gemalt fand, zwar nicht sehr ähnlich, aber von einer erstaunlichen Ausdruckskraft.
    Sie blieben lange vor dem Bild stehen, blinzelten, traten bis zur Wand zurück.
    »Nun«, sagte er endlich, »werde ich das mit einem Modell hinschludern …. Ach, dieses Weibsstück, ich hab es doch hingekriegt!« Und in einem Anfall von lausbubenhafter Ausgelassenheit packte er das junge Mädchen; sie tanzten miteinander den »Siegestanz«, wie er es nannte.
    Sie lachte sehr laut, weil ihr das Spiel gefiel und sie nichts mehr von ihrer Befangenheit verspürte, weder Gewissensbisse noch Unbehagen.
    Aber schon in der folgenden Woche wurde Claude wieder finster. Er hatte Zoé Piédefer als Modell für den Körper ausgewählt, und sie gab ihm nicht das, was er wollte: dieser so feine Kopf, sagte er, passe überhaupt nicht auf diese ordinären Schultern. Er versteifte sich jedoch darauf, schabte weg, fing wieder von vorn an. Von Verzweiflung erfaßt, ließ er gegen Mitte Januar

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