Das Werk - 14
aus dem Dach kam, war vergessen worden.
Claude machte eine nervöse Handbewegung, während Fagerolles phlegmatisch immer wieder sagte:
»Sehr fein, sehr fein … Aber wo ist denn dein Bild, Gagnière?«
»Mein Bild? Das ist da!«
Tatsächlich hing das von ihm eingereichte Bild gerade neben dem kleinen Meisterwerk. Es war eine perlgrau gehaltene Landschaft, ein sorgfältig gemaltes SeineUfer, hübsch im Ton, obwohl ein wenig schwer, und von einer vollkommenen Ausgeglichenheit, ohne irgend etwas revolutionär Rohes.
»Sind die dumm, daß sie das ablehnen!« sagte Claude, der voller Interesse näher getreten war. »Aber warum lehnen sie das ab, warum, frage ich euch?«
Tatsächlich war nichts zu finden, was die Ablehnung durch die Jury gerechtfertigt hätte.
»Weil es realistisch ist«, sagte Fagerolles mit einer so schneidenden Stimme, daß man nicht wissen konnte, ob er sich über die Jury oder über das Bild lustig machte.
Irma, mit der sich niemand befaßte, starrte indessen Claude mit einem unbewußten Lächeln an, das angesichts der linkischen Ungeschliffenheit dieses großen Burschen um ihre Lippen spielte. Wenn man bedachte, daß er nicht auf die Idee gekommen war, sie wiederzusehen! Sie fand ihn so anders, so komisch, so gar nicht schön an diesem Tage, stoppelig, das Gesicht fleckig wie nach einem schweren Fieber! Und bekümmert über seine geringe Aufmerksamkeit, berührte sie vertraulich seinen Arm.
»Hören Sie mal, ist da drüben nicht einer Ihrer Freunde und sucht Sie?«
Es war Dubuche, den sie kannte, weil sie ihm einmal im Café Baudequin begegnet war. Er arbeitete sich mühsam durch die Menge und blickte mit seinen unsteten Augen über die Woge der Köpfe hinweg. Aber gerade in dem Augenblick, als Claude versuchte, sich durch lebhaftes Winken bemerkbar zu machen, drehte der andere ihm urplötzlich den Rücken zu und grüßte sehr tief eine Gruppe von drei Leuten, den fetten, untersetzten Vater mit dem von zu hitzigem Blut gekochten Gesicht, die sehr hagere, wachsfarbene, von Blutarmut verzehrte Mutter, die Tochter, die mit achtzehn Jahren so hinfällig war, daß sie immer noch so kümmerlich und dürftig wie ein ganz kleines Kind aussah.
»Gut!« murmelte der Maler. »Jetzt ist er ertappt … Hat der aber gräßliche Bekannte, dieser Kerl! Wo hat er diese Scheusale bloß aufgegabelt?«
Gelassen sagte Gagnière, daß er den Herrn dem Namen nach kenne. Vater Margaillan war ein Großunternehmer im Bauwesen, bereits fünf oder sechsfacher Millionär, der sein Vermögen bei den großen Bauarbeiten in Paris verdiente und für sich allein ganze Boulevards baute. Ohne Zweifel stand Dubuche durch einen der Architekten, für die er Pläne zeichnete, mit ihm in Verbindung.
Aber Sandoz, den die Magerkeit des jungen Mädchens mitleidig stimmte, faßte sein Urteil über sie in einer kurzen Bemerkung zusammen:
»Ach, das arme, geschundene Kätzchen! Was ist das doch für ein Jammer!«
»Laß doch«, erklärte Claude voller Wildheit. »Auf ihren Gesichtern sind alle Verbrechen der Bourgeoisie abzulesen, sie strotzen vor Skrofeln und Dummheit. Das ist gut so … Da seht doch mal! Die treulose Tomate haut mit ihnen ab. Ein richtiger Banause, so ein Architekt, wie? Gute Reise, er kann uns gestohlen bleiben!«
Dubuche, der seine Freunde nicht bemerkt hatte, bot soeben der Mutter den Arm; dann ging er mit der Gruppe davon und erläuterte mit von übertriebener Liebenswürdigkeit überströmender Gebärde die Gemälde.
»Gehen wir weiter«, sagte Fagerolles. Und sich an Gagnière wendend, fragte er: »Weißt du, wo sie Claudes Gemälde hingesteckt haben?«
»Nein, ich habe es auch schon gesucht … Ich komme mit euch mit.«
Er schloß sich den Freunden an und vergaß Irma Bécot an der Wandleiste. Sie hatte den Einfall gehabt, an seinem Arm den Salon zu besichtigen, und er war so wenig daran gewöhnt, eine Frau solcherweise auszuführen, daß er sie unaufhörlich unterwegs verlor und entgeistert war, wenn er sie immer wieder in seiner Nähe fand und nicht mehr wußte, wieso und warum sie zusammen waren. Sie kam angerannt und nahm wieder seinen Arm, weil sie Claude folgen wollte, der mit Fagerolles und Sandoz bereits in einen anderen Saal hinüberging.
Dann streiften sie alle fünf ziellos umher, die Nase in der Luft, wurden durch ein Geschiebe voneinander getrennt, durch ein anderes wieder zusammengebracht, von der Strömung mitgerissen. Ein greuliches Machwerk von Chaîne, »Christus verzeiht der
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