Das Werk - 14
Ehebrecherin«, veranlaßte sie, stehenzubleiben, dürre, gleichsam aus Holz geschnitzte Gestalten mit einem Knochengerüst, das blaurot durch die Haut schimmerte, und mit Straßendreck gemalt. Aber daneben bewunderten sie einen sehr schönen Frauenakt, eine Rückenansicht mit stark betonten Hüften und umgewandtem Kopf. An den Wänden hing ein Gemisch aus dem Vortrefflichsten und dem Schlechtesten, alle Genres durcheinander, die alten Kacker von der historischen Schule in Tuchfühlung mit den jungen Verrückten vom Realismus, die einfältigen Tröpfe auf einem Haufen mit den Marktschreiern der Originalität; eine tote Jesabel66, die tief in den Kellern der Ecole des BeauxArts vermodert zu sein schien, neben der Dame in Weiß, vom Auge eines großen Künstlers sehr eigenartig gesehen; ein riesiger Hirte in Betrachtung des Meeres, ein Sagenthema gegenüber einem kleinen Gemälde, Federball spielende Spanier, ein Lichtstrahl von glanzvoller Intensität. Nichts fehlte bei den Scheußlichkeiten, weder die Militärbilder mit Bleisoldaten noch die leichenfahle Antike, noch das mit Erdpech hingeschmierte Mittelalter. Aber von diesem zusammenhanglosen Ganzen, vor allem von den Landschaften, fast alle in einem ehrlichen und treffenden Ton gehalten, und auch von den Porträts, die meist sehr interessant in der Faktur waren, ging ein guter Geruch nach Jugend, Mut und Leidenschaft aus. Wenn es auch im amtlichen Salon nicht so viele schlechte Gemälde gab, so war doch der Durchschnitt dort todsicher viel banaler und mittelmäßiger. Hier hatte man das Gefühl, mitten in einer Schlacht zu sein, und zwar in einer fröhlichen Schlacht, die mit Schwung ausgetragen wird, wenn der Tag heraufzieht, die Clairons schmettern und man dem Feind entgegenmarschiert, in der Gewißheit, ihn vor Sonnenuntergang zu schlagen.
Durch diesen Kampfesodem aufgemuntert, geriet Claude in Eifer, ärgerte sich, horchte nun auf das aus dem Publikum aufsteigende Gelächter mit einer herausfordernden Miene, als habe er das Pfeifen von Kugeln gehört. Am Eingang klang das Gelächter noch zurückhaltend, wurde lauter, je weiter man kam. Im dritten Saal erstickten es die Frauen schon nicht mehr mit ihren Taschentüchern, die Männer hielten sich den Bauch, um sich besser Erleichterung zu verschaffen. Diese ansteckende Heiterkeit einer Menge, die gekommen war, um ihren Spaß zu haben, die allmählich in Erregung geriet, wegen nichts losplatzte, wurde durch die schönen Sachen ebenso ausgelöst wie durch die abscheulichen. Vor dem Christus von Chaîne wurde weniger gelacht als vor dem Frauenakt, dessen sehr betonter, gleichsam aus dem Gemälde heraustretender Hinterteil von außerordentlicher Komik zu sein schien. Auch die Dame in Weiß ergötzte die Leute: man stieß einander mit dem Ellbogen an, man krümmte sich, es bildete sich da stets eine Gruppe mit sperrangelweit aufgerissenem Mund. Und jedes Gemälde hatte seinen Erfolg, Leute riefen einander von weitem zu, um auf etwas Gutes hinzuweisen, unausgesetzt gingen geistreiche Bemerkungen von Mund zu Mund, so daß Claude beim Betreten des vierten Saales beinahe eine alte Dame geohrfeigt hätte, deren Glucksen ihn aufbrachte.
»Was für Idioten!« sagte er, sich zu den anderen umdrehend. »He, man bekommt Lust, ihnen Meisterwerke vor den Kopf zu knallen!«
Auch Sandoz war in Feuer geraten; und Fagerolles fuhr fort, ganz laut die schlechtesten Malereien zu loben, was die allgemeine Heiterkeit noch steigerte, während Gagnière mitten im Gedränge umherschlenderte und die entzückte Irma, deren Röcke sich allen Männern um die Beine wickelten, hinter sich herzog.
Doch jäh tauchte Jory vor ihnen auf. Seine große rote Nase, sein blondes Gesicht, dieses Gesicht eines hübschen Burschen strahlte. Er arbeitete sich ungestüm durch die Menge, fuchtelte mit den Händen, jubelte, als habe er persönlich einen Sieg errungen. Sobald er Claude erblickte, rief er:
»Ach, da bist du endlich! Seit einer Stunde suche ich dich … Ein Erfolg, Alter, oh, ein Erfolg …«
»Was für ein Erfolg denn?«
»Der Erfolg deines Bildes natürlich! – Komm, ich muß dir das zeigen! Nein, du wirst gleich sehen, das ist fabelhaft!«
Claude erbleichte, eine große Freude schnürte ihm die Kehle zu, während er tat, als nehme er die Nachricht gleichmütig auf. Bongrands Bemerkung fiel ihm wieder ein, er glaubte, Genie zu haben.
»Guten Tag! Guten Tag!« fuhr Jory fort und drückte den anderen die Hände. Und seelenruhig nahmen er,
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