Das Werk - 14
Erholung, und er sehnte sich nach diesem großen Ausruhen in der guten Natur; und dort hätte er das echte freie Licht, bis zum Hälse im Grase, würde er arbeiten, er würde Meisterwerke mit zurückbringen. In zwei Tagen war alles bereit, war Abschied genommen vom Atelier, waren die paar Möbelstücke zur Bahn geschafft. Durch einen glücklichen Zufall kamen sie zu Geld, zu fünfhundert Francs, die Vater Malgras für einen von ihm selber aus dem Strandgut des Umzugs geretteten Posten von etwa zwanzig Gemälden bezahlt hatte. Sie würden wie Fürsten leben: Claude hatte sein Jahresgeld von tausend Francs, Christine brachte ein paar Ersparnisse, einen Wäschevorrat und Kleider mit. Und sie machten sich davon; es war eine richtige Flucht, denn sie waren den Freunden aus dem Weg gegangen, hatten sie nicht einmal durch einen Brief benachrichtigt, hatten Paris verachtet und ihm mit einem Lachen der Erleichterung den Laufpaß gegeben.
Der Juni ging zu Ende, in der Woche ihres Einzugs regnete es in Strömen; und sie machten die Entdeckung, daß Vater Poirette, bevor er mit ihnen den Vertrag schloß, die Hälfte der Küchengeräte fortgenommen hatte. Aber die Enttäuschung hielt nicht lange vor, sie plantschten voller Wonne im Platzregen umher, sie unternahmen drei Meilen weite Fahrten bis nach Vernon, um Teller und Kasserollen zu kaufen, die sie im Triumph heimbrachten. Endlich hatten sie ein Zuhause, sie bewohnten oben nur eines der beiden Zimmer, überließen das andere den Mäusen, verwandelten unten das Wohnzimmer in ein Atelier, waren vor allem erfreut und vergnügt wie Kinder, daß sie in der Küche an einem Fichtenholztisch aßen, in der Nähe des Kamins, in dem der Suppentopf summte. Zu ihrer Bedienung hatten sie ein Mädchen aus dem Dorf genommen, das am Morgen kam und am Abend wieder ging: Mélie, eine Nichte von Faucheurs, deren Blödheit sie entzückte. Nein, man hätte im ganzen Departement71 keine Dümmere gefunden!
Als die Sonne wieder zum Vorschein gekommen war, folgte ein herrlicher Tag auf den anderen; Monate verstrichen in gleichförmiger Glückseligkeit. Niemals wußten sie, welches Datum sie hatten, und sie verwechselten alle Tage der Woche. Morgens blieben sie sehr lange im Bett, trotz der Sonnenstrahlen, die durch die Ritzen der Fensterläden hereinschienen und die geweißten Wände des Zimmers mit Blut besudelten. Nach dem Mittagessen unternahmen sie dann endlose Streifzüge, große Wanderungen auf der mit Apfelbäumen bestandenen höhergelegenen Fläche, über grasbewachsene Feldwege, Spaziergänge inmitten der Wiesen längs der Seine bis nach La Roche Guyon, noch längere Erkundungsfahrten, richtige Reisen auf der anderen Seite des Wassers in den Getreidefeldern von Bonnières und Jeufosse. Ein Städter, der gezwungen war, das Land zu verlassen, hatte ihnen für dreißig Francs ein altes Boot verkauft; und auch der Fluß gehörte ihnen, sie hatten sich mit einer wilden Leidenschaft in ihn verliebt, lebten ganze Tage auf ihm, ruderten, entdeckten neue Welten und hielten sich unter den Weiden an den Uferböschungen in den kleinen schattenschwarzen Flußarmen verborgen. Zwischen den Inseln, mit denen das Wasser übersät war, gab es eine regelrechte unstete und rätselhafte Stadt, ein Gewirr von Gäßchen, durch die sie leise dahinfuhren, von der Liebkosung der niedrigen Zweige gestreift, allein auf der Welt mit den Ringeltauben und den Eisvögeln. Er mußte mitunter mit nackten Beinen auf den Sand springen, um das Boot anzuschieben. Wacker bewegte sie die Ruder, wollte gegen die stärksten Strömungen anrudern, war stolz auf ihre Kraft. Und am Abend aßen sie Kohlsuppe in der Küche, sie lachten über Melies Dummheit, über die sie schon gestern abend gelacht hatten; dann lagen sie bereits um neun Uhr im Bett, in dem alten Nußbaumbett, das so geräumig war, daß man eine ganze Familie darin hätte unterbringen können, und in dem sie zwölf Stunden zubrachten, bewarfen einander schon beim Morgendämmern mit den Kopfkissen, schliefen dann engumschlungen wieder ein.
Jede Nacht sagte Christine:
»Nun, mein Liebling, wirst du mir etwas versprechen: daß du nämlich morgen arbeitest.«
»Ja, morgen, ich schwöre es dir.«
»Und du weißt, dieses Mal werde ich böse … Hindere ich dich etwa daran?«
»Du, was für ein Gedanke! – Wo ich doch hergekommen bin, um zu arbeiten, zum Teufel! Morgen wirst du’s sehen.«
Am nächsten Tage fuhren sie wieder im Boot los; sie selber schaute ihn mit einem
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