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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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und rasch wieder heimfahren … Aber ich wäre die ganze Nacht geblieben, ich hätte nicht fortgehen können, ohne Ihnen die Hand gedrückt zu haben.« Sie redete weiter, sie sprach von ihrem heftigen Verlangen, das Bild zu sehen, ihrem Abstecher zum Salon, und wie sie in den Sturm des Gelächters hineingeraten war, unter das Gejohle dieses ganzen Volkes. Sie selber wurde so ausgepfiffen, auf ihre Nacktheit spien die Leute, auf diese Nacktheit, die hier roh dem Gespött von Paris zur Schau gestellt wurde; das hatte ihr die Kehle gleich an der Tür zugeschnürt. Und von einem irren Schrecken erfaßt, kopflos vor Leid und Scham, war sie geflohen, als hätte sie gefühlt, wie dieses Gelächter auf ihre nackte Haut einschlug und sie peitschte bis aufs Blut. Aber sie vergaß sich nun ganz, sie dachte nur noch an ihn, war völlig durcheinander, wenn sie sich den Kummer vorstellte, den er wohl empfand, machte die Bitternis dieses Fehlschlags mit der Empfindlichkeit einer Frau noch größer und strömte über vor einem Bedürfnis nach grenzenloser Barmherzigkeit. »Oh, mein Freund, grämen Sie sich nicht! – Ich wollte Sie sehen und Ihnen sagen, daß das nur Neider sind, daß ich das Bild sehr gut finde, daß ich sehr stolz und sehr glücklich bin, Ihnen geholfen zu haben und auch ein wenig mit drauf zu sein …«
    Er hörte, wie sie glühend diese Zärtlichkeiten stammelte, und stand immer noch reglos da; und jäh stürzte er vor ihr nieder, ließ sein Haupt auf ihre Knie fallen und brach in Tränen aus. Seine ganze Aufregung vom Nachmittag, die Tapferkeit eines ausgepfiffenen Künstlers, die Fröhlichkeit und das Ungestüm, das alles entlud sich hier in einem Weinkrampf, der ihn schier erstickte. Seit er den Saal verlassen hatte, wo ihn das Gelächter ohrfeigte, hörte er, wie es ihn gleich einer kläffenden Meute verfolgte, dort unten in den ChampsElysées, dann längs der Seine, dann jetzt noch bei ihm zu Hause hinter seinem Rücken. Seine ganze Kraft war dahin, er fühlte sich kraftloser als ein Kind; und seinen Kopf hin und her wälzend, sagte er immer wieder mit erloschener Stimme, mit einer unbestimmten Gebärde:
    »Mein Gott, wie ich leide!«
    Da zog sie ihn in einer Aufwallung von Leidenschaft mit beiden Händen hoch zu ihrem Mund. Sie küßte ihn, sie hauchte ihm mit heißem Atem bis ins Herz:
    »Sei still, sei still, ich liebe dich!«
    Sie gaben einander hin, ihr kameradschaftliches Verhältnis mußte zur Hochzeit auf diesem Diwan führen, nachdem das Abenteuer dieses Bildes sie nach und nach zusammengeführt hatte. Die Dämmerung umfing sie, sie blieben umschlungen liegen, völlig entkräftet und tränenüberströmt bei dieser ersten Liebesfreude. Der Flieder, den sie am Morgen geschickt hatte, stand neben ihnen auf dem Tisch und erfüllte die Nacht mit seinem Duft; und allein die vom Bilderrahmen aufgeflogenen Goldflitter glänzten in einem Rest Tageslicht gleich einem Sternengewimmel.
     

Kapitel VI
    Als er sie am Abend noch immer in seinen Armen hielt, sagte er zu ihr:
    »Bleib!«
    Aber sie überwand sich und riß sich los.
    »Ich kann nicht, ich muß nach Hause.«
    »Also dann morgen … Ich bitte dich, komm morgen wieder.«
    »Morgen? Nein, das ist unmöglich … Leb wohl, auf bald!«
    Und am nächsten Tage um sieben Uhr war sie schon da, war rot, weil sie Frau Vanzade angelogen hatte: sie müsse eine Freundin aus Clermont vom Bahnhof abholen und möchte gern mit ihr den Tag verbringen.
    Selig, sie so einen ganzen Tag lang zu besitzen, wollte Claude mit ihr aufs Land hinausfahren, weil es ihn verlangte, sie für sich allein zu haben, sehr weit weg, unter der großen Sonne. Sie war entzückt, wie närrisch rannten sie los, kamen gerade noch rechtzeitig am Gare SaintLazare70 an, um auf den Zug nach Le Havre aufzuspringen. Er kannte hinter Mantes ein Dörfchen, Bennecourt, wo es ein Gasthaus gab, in dem Künstler verkehrten und in das er mitunter mit Freunden hineingeplatzt war; und ohne sich um die zwei Stunden Eisenbahnfahrt zu kümmern, wollte er dort mit ihr zu Mittag essen, als hätte es sich um einen Ausflug nach Asnières gehandelt. Sie hatte ihre helle Freude an dieser Reise, die kein Ende mehr nahm. Um so besser, wenn es ans Ende der Welt ging! Es war ihnen, als werde der Abend niemals kommen.
    Um zehn Uhr stiegen sie in Bonnières aus dem Zug; sie ließen sich mit der Fähre, einer alten, knarrend an ihrer Kette dahingleitenden Fähre, übersetzen, denn Bennecourt liegt auf dem anderen Ufer der

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