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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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eingeschlossen, bis zum Eichenwald erstreckte.
    »Ich werde die Kartoffeln drin lassen«, sagte Vater Poirette.
    Claude und Christine hatten einander angeschaut in jenem Verlangen nach Einsamkeit und Vergessen, darin Liebende schmachten. Ach, wie schön wäre es, einander zu lieben, hier tief in diesem Nest, so weit weg von den anderen Menschen! Aber sie lächelten: waren sie denn dazu in der Lage? Sie hatten kaum noch Zeit, den Zug zur Heimfahrt nach Paris zu erreichen.
    Und der alte Bauer, der Frau Faucheurs Vater war, begleitete sie die Böschung entlang; als sie dann in die Fähre stiegen, rief er ihnen nach einem inneren Kampf zu:
    »Sie wissen ja, für zweihundertfünfzig Francs … Schicken Sie mir jemanden.«
    In Paris begleitete Claude Christine bis zu Frau Vanzades Haus. Sie waren sehr traurig geworden, sie tauschten einen langen, verzweifelten, stummen Händedruck, da sie nicht wagten, einander zu küssen.
    Ein Leben der Qual begann. Innerhalb von vierzehn Tagen konnte sie nur dreimal kommen; und sie kam außer Atem angerannt, weil sie nur ein paar Minuten zu ihrer Verfügung hatte, denn ausgerechnet jetzt beanspruchte die alte Dame sie sehr. Er bestürmte sie mit Fragen, war besorgt, weil er sah, wie blaß sie geworden war, wie kraftlos, wie ihre Augen vor Fieber glänzten. Niemals hatte sie so gelitten unter diesem frommen Haus, unter diesem Grabgewölbe ohne Luft und ohne Licht, darin sie vor Langerweile umkam. Ihre Schwindelanfälle hatten wieder angefangen, der Mangel an Bewegung bewirkte, daß das Blut in ihren Schläfen hämmerte. Sie gestand ihm, daß sie eines Abends in ihrem Zimmer ohnmächtig geworden war, wie auf einmal erdrosselt von einer bleiernen Hand. Sie sagte keine bösen Worte gegen ihre Herrin, sie empfand im Gegenteil Mitleid: ein so armseliges, so altes, so hinfälliges, so gutes Wesen, von dem sie Tochter genannt wurde! Jeden Abend, wenn sie sie im Stich ließ, um zu ihrem Geliebten zu eilen, kam ihr das vor wie eine Schlechtigkeit.
    Zwei weitere Wochen verstrichen. Die Lügen, mit denen sie jede Stunde Freiheit bezahlen mußte, wurden ihr unerträglich. Bebend vor Scham, kehrte sie nun heim in dieses strenge Haus, wo ihr ihre Liebe wie ein Makel vorkam. Sie hatte sich hingegeben, sie hätte das am liebsten laut hinausgeschrieen, und ihre Ehrlichkeit begehrte dagegen auf, das wie ein Vergehen zu verbergen, gemein zu lügen wie eine Magd, die entlassen zu werden fürchtet.
    Schließlich warf sich Christine eines Abends im Atelier in dem Augenblick, da sie wieder aufbrechen mußte, Claude in die Arme und schluchzte fassungslos vor Leid und Leidenschaft:
    »Ach, ich kann nicht, ich kann nicht … Behalte mich hier, laß mich nicht dorthin zurückkehren!«
    Er hatte sie gepackt, er umarmte sie, daß sie schier erstickte.
    »Wirklich wahr? Du liebst mich. Oh, mein Liebes! – Aber ich habe nichts, und du würdest alles verlieren. Kann ich dulden, daß du dich so beraubst?«
    Sie schluchzte stärker, ihre gestammelten Worte gingen unter in ihren Tränen.
    »Ihr Geld, nicht wahr? Das Geld, das sie mir vererben würde … Du glaubst also, daß ich berechnend bin? Niemals habe ich daran gedacht, das schwöre ich dir. Ach, soll sie doch alles behalten, wenn ich nur frei bin! – Ich hänge an nichts und an niemand, ich habe keine Verwandten, ist es mir nicht erlaubt, zu tun, was ich will? Ich verlange nicht, daß du mich heiratest, ich verlange nur, mit dir zusammen zu leben …« Ein letztes Mal aufschluchzend vor Qual, stieß sie dann hervor: »Ach, du hast recht, es ist schlecht, diese arme Frau im Stich zu lassen! Ach, ich verachte mich, ich möchte die Kraft haben … Aber ich liebe dich zu sehr, ich leide zu sehr, ich kann doch nicht daran sterben.«
    »Bleib, bleib!« rief er. »Und wenn auch die anderen sterben, es gibt nur uns beide!« – Er hatte sie auf seine Knie gesetzt, beide weinten und lachten, schworen dabei unter Küssen, daß sie niemals, niemals mehr auseinandergehen würden.
    Das war eine Torheit. Christine ging schon am nächsten Tage Knall und Fall mit ihren Sachen von Frau Vanzade weg. Sofort entsannen sich Claude und Christine des alten, leerstehenden Hauses in Bennecourt, der riesigen Rosenstöcke, der ungeheuer großen Räume. Ach, fortziehen, fortziehen, ohne eine Stunde zu verlieren, leben am Ende der Welt, in der süßen Wonne ihrer jungen Ehe! Hocherfreut klatschte sie in die Hände. Ihm blutete noch das Herz über seinen Mißerfolg im Salon, er brauchte

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