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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Freude. Als Sandoz nach der Flucht der beiden aus Paris die Anschrift herausbekommen und brieflich angefragt hatte, ob er sie nicht einmal besuchen könne, hatte Claude nicht geantwortet. Dadurch war es dann zu einem Zerwürfnis gekommen, und diese alte Freundschaft schien gestorben. Christine war untröstlich darüber, denn sie fühlte sehr wohl, daß er ihretwegen mit Sandoz gebrochen hatte. Immerfort sprach sie darüber, weil sie ihn nicht mit seinen Freunden auseinanderbringen wollte, und verlangte nun, daß er sie wieder herbeiriefe. Aber wenn er auch versprach, die Dinge wieder einzurenken, er tat nichts dazu. Das war aus; wozu auf die Vergangenheit zurückkommen?
    In den letzten Julitagen wurde das Geld knapp, er mußte nach Paris, um Vater Malgras ein halbes Dutzend Studien von früher zu verkaufen; und als sie ihn zum Bahnhof begleitete, ließ sie ihn schwören, daß er zu Sandoz gehen und ihm die Hand drücken werde. Abends stand sie wiederum vor der Station Bonnières und wartete auf ihn.
    »Na, hast du ihn besucht, habt ihr euch umarmt?«
    Stumm vor Verlegenheit, ging er neben ihr her. Dann sagte er mit dumpfer Stimme:
    »Nein, ich habe keine Zeit gehabt.«
    Da sagte sie blutenden Herzens, während zwei große Tränen ihre Augen ertränkten:
    »Du machst mir viel Kummer.«
    Und da sie im Schutz der Bäume gingen, küßte er ihr Gesicht, auch er weinte dabei und flehte sie an, seinen Gram nicht noch zu vergrößern. Könne er denn das Leben ändern? War es nicht schon genug, miteinander glücklich zu sein?
    Während dieser ersten Monate trafen sie ein einziges Mal jemand. Das war oberhalb von Bennecourt, als sie wieder aus der Gegend von La RocheGuyon hochkamen. Sie gingen einen menschenleeren, von Bäumen eingefaßten Weg entlang, einen jener köstlichen Hohlwege, als sie bei einer Biegung auf drei Städter stießen, die einen Spaziergang machten, Vater, Mutter und Tochter. Gerade hatten sich Claude und Christine, die sich allein glaubten, um die Hüfte gefaßt, wie es Verliebte tun, die sich hinter den Hecken vergessen: zurückgebeugt bot sie ihm ihre Lippen; schäkernd näherte er sich mit seinem Mund; und die Überraschung war so plötzlich, daß sie sich nicht stören ließen, immer noch engumschlungen in demselben langsamen Schritt weiterwandelten. Entsetzt verharrte die Familie wie festgebannt an einer der Böschungen, der Vater dick und hochrot im Gesicht, die Mutter dünn wie eine Messerschneide, die Tochter zu einem Nichts zusammengeschrumpft, federlos wie ein kranker Vogel, alle drei häßlich und elend, mit dem lasterhaften Blut ihres Geschlechts. Sie waren eine Schande im vollen Leben der Erde unter der großen Sonne. Und plötzlich wurde das traurige Kind, das mit entgeisterten Augen zuschaute, wie die Liebe vorüberschritt, von seinem Vater fortgedrängt, von seiner Mutter fortgeführt, und beide Eltern waren außer sich, aufgebracht über diesen freien Kuß und fragten, ob es denn bei uns auf dem Lande keine Polizei mehr gäbe, während die beiden Verliebten noch immer ohne Hast triumphierend davongingen in ihrem Glorienschein.
    Claude jedoch durchforschte sein Gedächtnis, und er konnte sich nicht gleich entsinnen. Wo zum Teufel hatte er denn diese Köpfe da gesehen, diese degenerierten Spießer, diese mißmutigen, stumpfen Gesichter, die die den armen Leuten abgegaunerten Millionen ausschwitzten? Sicher hatte er sie in irgendeinem ernsten Augenblick seines Lebens gesehen, und da entsann er sich, er erkannte die Margaillans wieder, diesen Unternehmer, den Dubuche im Salon der Abgelehnten herumgeführt und der vor Claudes Gemälde das donnernde Lachen eines Idioten gelacht hatte. Als Claude und Christine zweihundert Schritt weiter aus dem Hohlweg herauskamen und sich einem weiten Besitztum, einem von schönen Bäumen umgebenen großen weißen Gebäude gegenübersahen, erfuhren sie von einer alten Bäuerin, daß La Richaudiere, wie das Besitztum hieß, seit drei Jahren den Margaillans gehörte. Sie hatten fünfzehnhunderttausend Francs dafür bezahlt, und sie kamen hierher, um für mehr als eine Million Verschönerungen daran vornehmen zu lassen.
    »Das ist ein Fleckchen Erde, wo man uns kaum wieder zu Gesicht kriegen wird«, sagte Claude, als sie nach Bennecourt hinuntergingen. »Sie verhunzen die Landschaft, diese Scheusale!«
    Aber schon Mitte August veränderte ein wichtiges Ereignis ihr Leben: Christine war schwanger, und unbekümmert, wie verliebte Frauen nun einmal sind, merkte sie es

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