Das Werk der Teufelin
hatte ihn vor zwei Monaten das letzte Mal gesehen, als sie beide den Mord seines Beichtkindes und persönlichen Schützlings aufgedeckt hatten. Seither hatten sich ihre Wege nicht mehr gekreuzt, und manchmal fragte Almut sich, ob sie das nicht bedauerte.
Der Friedhof, auf dem die alte Nys, eine ihrer treuen Aufwärterinnen, begraben lag, war klein und lag nahe an der alten Römermauer. Ein winziges Kapellchen lehnte etwas schief an der Steinwand, und in ihm knieten Almut und Trine nieder, um vor dem mit nur einigen welken Blumen geschmückten Altar für die Seele der Magd zu beten. Lange würde sie bestimmt nicht im Fegefeuer leiden müssen, nahm Almut an. Sie war zeitlebens eine gutmütige und bescheidene Frau gewesen, die bis an ihr plötzliches Ende fleißig gearbeitet hatte. Überhaupt war Almuts Glauben an die Qualen des Fegefeuers nicht so wünschenswert gefestigt, wie die Priester es gerne gesehen hätten und wie sie es ihren Schäfchen in den Predigten drastisch vor Augen führten. Ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn machte es ihr schwer, an einen göttlichen Richter zu glauben, der schon bei den geringsten Verfehlungen die glühenden Kohlen anfachen lassen würde. Dennoch betete sie inbrünstig und aufrichtig für Nys und bat vor allem die heilige Gunthildis, die Patronin der Dienstmägde, um Fürsprache. Doch ihre Bitte konnte sie nicht zu Ende führen, denn draußen vor der Kapelle ertönten plötzlich laute Schreie.
»Haltet den Dieb!«, brüllte eine aufgebrachte Stimme. »Haltet ihn! Lasst ihn nicht entkommen!«
Selbst Trine, obwohl sie die Geräusche nicht wahrnehmen konnte, war mit einem Mal aufgeschreckt. Ein Fußtrappeln, ein Quietschen der Holztür und ein gehetztes Schnaufen war das Nächste, was Almut wahrnahm. Über die von der Sonne blendend hell erleuchtete Schwelle stürzte ein Mann und warf die Tür hinter sich zu. Dann erst sah er die beiden Frauen, die ihm ihre erstaunten Gesichter zuwandten. Erschrocken wich er zurück, aber Almut hatte sich schon gefasst. Die Novizenkutte und der verstörte Blick des Jungen sagten ihr, dass es sich bei ihm nicht um einen gefährlichen Dieb handeln konnte. Seine wilde Flucht musste andere Gründe haben.
»Hinter den Altar, schnell!«
Wie benommen reagierte der Flüchtling und verschwand hinter dem breiten, steinernen Tisch. Noch gerade rechtzeitig, denn schon wieder wurde die Türe aufgerissen, und eine Gruppe Menschen versuchte sich hineinzudrängen. Angeführt wurde sie von einem bulligen Mann im Lederwams. Er stutzte etwas, als er die grau gekleidete Begine und das Mädchen sah, die er offensichtlich aus tiefster Kontemplation aufgeschreckt hatte. Seine rachsüchtige Energie verwandelte sich in leichte Verlegenheit, und er räusperte sich, bevor er fragte: »Wo habt Ihr den Mann mit den roten Haaren versteckt, ehrwürdige Schwester?«
»Wir haben gebetet, still und ungestört, Herr, bevor Ihr hier hereingestürmt seid. Von rothaarigen Männern weiß ich nichts!«
»Er muss aber hier sein!«, behauptete er herrisch.
Seine Verlegenheit war verflogen, und er wurde von einigen Gesellen weiter in die Kapelle hineingedrückt. Almut richtete sich von den Knien auf und fixierte den Mann im Lederwams ungehalten. Ihre Stimme wurde lauter, als sie antwortete: »Wir sind hier, werter Herr, weil wir um das Seelenheil der Mutter dieses Kindes beten, die jetzt in der kalten Erde dieses Friedhofs ruht. Ich finde Eure Störung und Verdächtigung höchst unziemlich!« Geistesgegenwärtig hatte Trine angefangen, raue Schluchzer auszustoßen und ganz allgemein ein Bild des Jammers abzugeben. »Seht Ihr nicht, wie sehr Ihr unsere Trauer stört! Noch keine zwei Tage ist es her, seit sie ihre Mutter verlor! Belästigt Ihr immer hilflose, schmerzzerrissene Waisenkinder mit solchen abwegigen Beschuldigungen? Hier war und hier ist kein Mann mit roten Haaren. Hier ist nur der eine, und auch den hat die blindwütige Meute einst ans Kreuz genagelt.« Mit dramatischer Handbewegung wies Almut auf das Holzkreuz auf dem Altar. »Doch er hatte Mitleid mit den Witwen und Waisen, und zu seiner Barmherzigkeit flehten wir, als Ihr unsere Andacht so rüde unterbracht!«
Jetzt sah der Bullige wieder betreten drein und drängte, rückwärts gehend, seine Kumpane zurück. »Verzeiht, ehrwürdige Schwester. Ich dachte, er hätte hier Unterschlupf gesucht. Ich lasse Euch in Frieden beten, doch wenn Ihr einen rothaarigen Mann in einer Novizenkutte seht, dann bitte ich Euch, seid
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