Das Werk der Teufelin
schüttelte dann den Kopf.
»Tot. Von der Glocke erschlagen.«
»Oder von dem Dolch erstochen.«
»Was?«
Pater Ivo hob mit einer vorsichtigen Bewegung einen langen, nadelspitzen Dolch auf, der seitlich rechts neben dem Domherrn auf dem Boden lag. Der Rubin oben am goldenen, fein verzierten Heft leuchtete blutrot auf – und seine scharfe Klinge war blutverschmiert.
9. Kapitel
Auch die Beginen hatten von dem schrecklichen Feuer in Sankt Kunibert gehört, doch von dem Opfer, das es gefordert hatte, war noch keine Kunde zu ihnen gedrungen.
»Wir werden ohnehin weiter zur Messe nach Sankt Brigiden gehen!«, kommentierte Magda die Nachricht. »Wann Pater Leonhard zurückkehrt, wissen wir sowieso nicht.«
»Das ist ja nicht weiter schlimm, Magda. Der Weg ist zwar etwas weiter, aber Pater Mathys hält ganz annehmbare Predigten.«
Almut hatte vor einiger Zeit für reichlichen Ärger gesorgt, weil sie sich während des Gottesdienstes öffentlich mit einem Priester gestritten hatte. Doch die Wogen hatten sich zum Glück inzwischen gelegt, und Almut übte sich in lobenswerter Zurückhaltung, selbst wenn ihr der Predigttext nicht zusagte.
»Ich gehe heute mit Trine zu Meister Krudener. Ihr Wunsch wird endlich erfüllt, und sie wird heute ihre Lehre bei ihm anfangen. Ich freue mich mit ihr darüber, und Elsa ist sehr zufrieden mit Johanna, die ihre Aufgaben übernommen hat.«
»Sie lebt sich gut ein, scheint es. Was ist aber mit dem Mädchen, das du gefunden hast? Ich habe sie noch nie im Refektorium gesehen.«
»Sie ist nach wie vor teilnahmslos und schweigsam. Aber es sprechen einige Anzeichen dafür, dass sie eine entlaufene Nonne ist.« Almut berichtete über ihre und Claras Beobachtungen. »Ich werde in den nächsten Tagen bei den Benediktinerinnen in Sankt Machabäern vorbeischauen und vorsichtig nachforschen, ob sie etwas von einem Flüchtling wissen.«
»Wenn sie von dort herkommt…«
»Sicher. Wir werden sehen…«
Trine hatte ihr bestes Gewand angezogen, ein helles Unterkleid mit langen Ärmeln und ein dunkelbraunes Surkot, das mit einer schmalen Borte grüner Blätter verziert war. In den vergangenen zwei Monaten hatte sie sich von einem ungelenken Kind zu einem jungen Mädchen gewandelt, und wenn sie auch noch die schönen, honigblonden Haare unbedeckt trug, machte sie doch schon einen erwachsenen Eindruck. Das lag sicher an ihrem sehr ausdrucksvollen Gesicht, denn sie war es gewöhnt, sich durch eine lebhafte Mimik und gekonnte Schauspielkunst zu verständigen. Ihre fehlenden Sinne ersetzte sie durch einen geschärften Blick und einen überaus empfindlichen Geruchssinn. Sie war geschickt im Umgang mit Kräutern und Pflanzen und ebenso vertraut mit den ganzen Verfahren, die zur Herstellung von Tinkturen und Auszügen notwendig waren. Bei Elsa hatte sie nun fast alles gelernt, was sie lernen konnte, und hatte darum gebeten, bei einem Apotheker in die Lehre gehen zu dürfen, der sich nicht nur mit den Pflanzen, sondern zusätzlich mit den Metallen und Salzen der Erde beschäftigte. Meister Krudener, zu dem sie nun unterwegs waren, war nicht nur Apotheker, er war auch ein Alchimist. Und er war Almut aus Gründen, die sie selbst nicht so recht durchschaute, ausgesprochen gewogen.
»Komm, Trine. Wir müssen erst noch ein paar Gebete in der Kapelle auf dem Friedhof sprechen, wie es sich die alte Nys gewünscht hat.«
Zu Almuts Zeichen nickte Trine und nahm dann gut gelaunt ihren Korb auf, in dem sich ihre Habseligkeiten befanden. Der Regen vom Vortag hatte nicht viel Feuchtigkeit gebracht, und wenngleich die Luft kühler geworden war, strahlte doch die Sonne zwischen gelegentlichen Wolkenbäuschchen hervor. Ihr Weg führte sie durch die Weingärten, in denen eifrige Hände die prallen Trauben schnitten, die dann in schweren Kiepen auf dem Rücken der Arbeiter zu den Kelterhäusern getragen wurden. Das Weinlaub fing schon an, das satte, sommerliche Grün zu verlieren, und färbte sich hier und da gelb oder rot. Hinter Machabäern sahen Almut und Trine von weitem die Benediktiner zwischen den Rebstöcken arbeiten. Sie hatten die Kutten von den Armen und Oberkörpern gestreift, so dass sie ihnen um die Taille hingen. Es war eine anstrengende Tätigkeit, die Weinernte einzubringen. Almut verlangsamte einmal kurz die Schritte, weil sie vermeinte, unter den Mönchen die hohe, breitschultrige Gestalt von Pater Ivo entdeckt zu haben, aber auf die Entfernung konnte sie das Gesicht des Mannes nicht erkennen. Sie
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