Das Werk der Teufelin
aber aufwändiger gefertigt war, befand sich ein silbernes Reliquiar mit einem eingelegten, transparenten Bergkristall, durch den man das bräunliche Knöchelchen erkennen konnte. Eine Inschrift verriet Wigbold Raboden, dass es sich um ein Fingerknöchelchen des heiligen Martin handelte. Er schnaubte verächtlich. Der heilige Martin musste erheblich mehr Finger an seinen Händen gehabt haben als gewöhnliche Sterbliche, so häufig hatte er derartige Reliquien schon gesehen. Aber die Identität des Verstorbenen klärte weder dieses kostbare Kleinod noch der Inhalt der anderen Tasche. Immerhin, ein armer Landstreicher oder Tagelöhner war der Tote nicht, eher ein gut situierter Bürger. Er würde kundtun müssen, ein Unbekannter sei ums Leben gekommen, und dann abwarten, was geschah.
18. Kapitel
Das müßige Geschwätz der Hökerin Elspeth über den verschwundenen Wevers hatte Almut über all die Unannehmlichkeiten, die ihr der Freitag brachte, schon fast vergessen. Es fing damit an, dass sie zu mitternächtlicher Stunde von Angelikas Psalmodieren geweckt wurde. Das Mädchen hatte sich nicht nur körperlich erholt, sondern auch ihre Stimme hatte an Lautstärke zugenommen, und mit kräftiger Inbrunst hob und senkte sich der Singsang aus der Kammer neben der ihren. Almut, nur mit einem Hemd bekleidet, ging zu ihr hinüber und betrachtete die kniende Gestalt, die sich andächtig hin und her wiegte.
»Pssst, Angelika!«
Angelika reagierte nicht, sondern ließ weiter einen Wortschwall mehr oder minder verständlichen Lateins von ihren Lippen perlen.
»Angelika, nun halt ein, du weckst ja den ganzen Hof auf!«, zischte Almut ihr zu.
Angelika ließ sich nicht unterbrechen, sondern holte nur tief Luft zu einer weiteren Strophe.
»Ruhe jetzt!« Almut packte die Kniende an der Schulter und schüttelte sie ungehalten. »Es ist mitten in der Nacht, und wir wollen schlafen. Wenn du beten willst, dann tu es bitte leise!«
Angelika schüttelte die Hand von ihrer Schulter und hörte endlich mit ihrem Singsang auf.
»Ich bete, wie es sich gehört!«, widersetzte sie sich. »Ihr gottlosen Weiber haltet ja nicht einmal des Tags die Andachten ein.«
Schwankend zwischen Erheiterung und Ungeduld, zuckte Almut mit den Schultern.
»Mädchen, wir sind keine Nonnen, und dies ist kein Kloster. Wir haben unsere eigenen Regeln, nach denen du dich richten wirst, wenn du hier bleiben willst. Doch ich bin ebenso gerne bereit, dich morgen zu den Benediktinerinnen nach Machabäern zu begleiten. Oder eine Botschaft an die Äbtissin von Rolandswerth zu schicken!«
Entsetzen schlich sich in Angelikas Blick, und zitternd wich sie vor Almut zurück.
»Schon gut, schon gut, wenn du solche Angst davor hast, dann kannst du zunächst natürlich bleiben. Aber es wird leise gebetet, verstanden?«
»Ja, Schwester!«
»Maria, große Mutter, gib mir Geduld! Wie oft habe ich dir schon erklärt, wir sind keine Nonnen – anders als du.«
»Ich bin keine Nonne, wie kommt Ihr darauf?«
»Ach, Kind, das ist doch offensichtlich. Und nun geh endlich zu Bett und schlaf. Morgen gibt es viel zu tun. Für alle!«
Kopfschüttelnd verließ Almut die Kammer und schlüpfte wieder unter ihre Decken.
Am nächsten Vormittag erschien Angelika erst, als man sich im Refektorium zur ersten Mahlzeit zusammensetzte. Die Beginen und die Mägde hatten schon ein reiches Pensum an Arbeiten erledigt und waren rechtschaffen hungrig. Angelika hingegen rührte nur schweigend und blass in ihrem Topf mit Grütze herum. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und hielt die Lider gesenkt.
»Angelika, wir haben viel zu tun, würdest du bitte heute mit Mettel zum Äpfelsammeln gehen.«
»Ich würde lieber meine Gebete sprechen. Heute Nacht durfte ich es ja nicht.«
»Weißt du, was ›ora et labora‹ bedeutet?«
»Nein, Schw…« Ein warnender Blick von Almut ließ sie die Anrede verschlucken. »Nein, ich weiß nicht.«
»Es ist eine Regel der Benediktiner, Kind. Es bedeutet ›Beten und Arbeiten‹, und das ist ein ganz vernünftiger Grundsatz. Jetzt ist Arbeit angesagt, nicht beten. Das kannst du später.«
»Selig sind die geistig Armen!«, murmelte Clara, und Almut entspannte sich ein wenig. Sie hatte gerade an diesem Morgen nur äußerst wenig Geduld mit dem kleinen Schafsköpfchen. Daher übersah sie auch das verzerrte Gesicht und wurde erst wieder aufmerksam auf Angelika, als diese sich mit grünlicher Hautfarbe zur Seite wandte und das Wenige erbrach, das sie zu sich
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