Das Wesen aller Kriege (Die Ratte des Warlords IX-A) (German Edition)
erst jetzt, dass er auch die Weste nicht mehr anhatte, nur Hose und das Shirt.
Der Schmerz sei dahingestellt, aber jetzt war er aufgeschmissen. Das Gefühl der Gefahr lichtete ein wenig den Nebel in seinen Gedanken, und dann kam allmählich auch die Erinnerung wieder. Eben hatte er noch etwas außer dem stupiden Grau gesehen. Kepler hob den Kopf und sah nach vorn.
D ie Gestalt, die einige Meter von ihm entfernt in der Hocke saß und aufmerksam zu ihm blickte, hatte sich immer noch nicht gerührt. Aber sie war da.
Der Schmerz ließ soweit nach, dass Kepler jetzt halbwegs die Einzelheiten der Umgebung wahrnehmen konnte. Im Raum sah er zwar weiterhin keine Unterschiede. Aber im Anblick der Gestalt schon. Und einige Sekunden später überkam ihn die Erleichterung und dann war er sogar richtig erheitert.
" Die Pilze haben wohl nicht umsonst so komisch geschmeckt", sagte er laut.
Erstaunt lauschte er dem Nachhall der eigenen Worte in seinem Kopf. Völlig perplex fand er, dass seine Stimme absolut normal geklungen hatte.
Er stand auf und torkelte nach vorn. Die Gestalt erhob sich ebenfalls und musterte ihn ruhig. Sie war fast zwei Meter groß, recht zierlich und hatte rundliche Hüften. Zwei ansehnliche Brüste zeichneten sich deutlich unter dem Stoff ab, der sich wie eine zweite Haut um den Körper der Gestalt spannte. Im indirekten Licht des Raumes blitzten die unzähligen winzigen eckigen Waben des Stoffes leicht grünlich auf. Der seltsame Anzug verhüllte das Wesen fast vollständig, nur am Hals und an den Handgelenken war er ausgefranst, als wenn dort etwas abgerissen worden wäre. Das Gesicht und die Hände des Wesens waren frei.
Die überdimensionierten, aber fein gezeichneten Gesichtszüge würden sogar fast ansehnlich wirken, wenn die völlig glatte Haut nicht so unnatürlich extrem weiß wäre. Und wenn die riesigen Augen nicht vollkommen erbarmungslos in einem tiefen Braun, das eigentlich mehr blutrot wirkte, schimmern würden.
Der Kontrast zwischen seinem Verständnis der Weiblichkeit und dem seltsamen Wesen gefiel Kepler überhaupt nicht. Er führte seine recht bizarre Gedankenprojektion auf den Unmut über die winzige, aber verbissen sture chinesische Geheimagentin zurück, vor der er sich in dem erbärmlichsten Hotel in der ödesten Gegend von ganz Shiyan verstecken musste. Und auf die merkwürdigen Pilze, die einem hier ins Abendessen beigemischt wurden. Und auf den brachialen Kopfschmerz, der ihn immer noch völlig benommen machte.
" Erkennt mein Unterbewusstsein deine wahre Natur, Genossin Enlai?", erkundigte er sich. "Die Größe soll bestimmt irgendetwas kompensieren", vermutete er spitz. "Das miserable Kung-Fu vielleicht?"
Die Stirn des Wesens legte sich in Falten. E rstaunt, wie es Kepler vorkam.
" Su, bist echt 'ne Lachnummer", fällte er das Urteil. Und beobachtete beinahe entzückt, wie die Augen des Wesens drohend aufblitzten. "Ach schmoll doch nicht gleich so", sagte er und musste wieder lachen. Dann drückte er den rechten Zeigefinger in den Bauch des Wesens. "Sag lieber was."
Er unternahm keinen Abwehrversuch, sondern sah b elustigt zu, wie die Kreatur mit der rechten Hand ausholte, anstatt seine Aufforderung zu befolgen. Der Schlag schleuderte ihn wie eine Stoffpuppe nach hinten.
Den Aufprall, der ihm den Atem nahm, spürte Kepler nicht als Schmerz. Eigentlich war er für diesen Schlag sogar aufrichtig dankbar. Weil sein Kopf jetzt wieder halbwegs klar war.
Deswegen hatte er sofort mitbekommen, dass er nicht auf dem Boden aufgeschlagen, sondern mit dem Rücken gegen eine Wand geprallt war. Die befand sich also sehr viel näher, als es den Anschein gehabt hatte.
Er sah über die Schulter. Die Wand hinter ihm sah noch immer aus, als wenn sie weit entfernt wäre. Verwirrt streckte er die Hand aus. Die Wand war doch nur ein paar Zentimeter hinter ihm. Er drehte den Kopf wieder nach vorn. Das seltsame Wesen ging auf ihn zu und holte wieder aus.
Kepler sprang auf, dann vor und gleichzeitig hoch und schlug mit der rechten Faust unterhalb des rechten Auges, das ihn anfunkelte.
I n seiner Faust fühlte der Schlag sich wie der gegen eine Wand an. Völlig echt.
I m nächsten Moment schleuderte ein wuchtiger Hieb gegen die linke Schulter Kepler diesmal zur Seite. Er flog sechs Meter weit und knallte wieder gegen eine Wand, die er eigentlich fast am Horizont vermutet hatte.
Er kam sofort wieder auf die Füße. Während er durchatmete, spürte er, wie Adrenalin durch seine Adern strömte.
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