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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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ihm die Regenzeit. Nach der erbarmungslosen Hitze brachte der Regen Erleichterung, doch er brachte auch Schnecken von beachtlicher Größe und feuchte Schimmelflecken, die sich auf Almas immer unansehnlicheren Röcken ausbreiteten. Der schwarze Sandstrand der Matavai-Bucht wurde weich wie Pudding. Sintflutartige Regenfälle fesselten Alma den ganzen Tag ans Haus, wo sie beim Donnern der Wassermassen auf dem Dach kaum ihre eigenen Gedanken hören konnte. Die Natur ergriff noch weiter Besitz von ihrem kleinen Wohnraum. Die Eidechsenpopulation an der Decke verdreifachte sich über Nacht zu einer schier biblischen Plage, und die Tiere sprenkelten das ganze fare mit zähen Kotspuren und halbverdauten Insektenteilen. Aus dem fauligen Inneren des einzigen Schuhs, den Alma noch besaß, sprossen Pilze hervor. Sie hängte ihre Bananen an die Deckenbalken, damit die durchnässten, hartnäckigen Ratten sich nicht damit davonmachten.
    Eines Nachts kam Roger der Hund im Rahmen seines regelmäßigen Rundgangs vorbei und blieb tagelang; er konnte sich einfach nicht dazu durchringen, dem Regen die Stirn zu bieten. Alma hätte sich gewünscht, dass er etwas gegen die Ratten unternahm, doch auch dazu konnte er sich nicht durchringen. Roger ließ sich nach wie vor nicht von Alma füttern, ohne nach ihr zu schnappen, doch manchmal ließ er immerhin zu, dass sie ihre Mahlzeit mit ihm teilte, indem sie seinen Anteil auf den Boden legte und sich dann umdrehte. Und gelegentlich gestattete er auch, dass sie ihm den Kopf kraulte, während er döste.
    Die Unwetter brachen in unregelmäßigen Abständen herein. Man konnte hören, wie sie sich weit hinten auf dem Meer zusammenbrauten: stetig brausende Stürme aus Südwesten, die immer lauter und lauter wurden, wie ein herandonnernder Zug. Drohte das Unwetter ungewöhnlich heftig auszufallen, krochen die Seeigel aus der Bucht herauf, hin zu höher gelegenem, sichererem Untergrund. Manchmal suchten sie auch Zuflucht in Almas Haus: ein Grund mehr für Alma, aufzupassen, wo sie hintrat. Der Regen kam wie ein Pfeilhagel. Der Fluss am anderen Ende des Strandes quoll über vor Schlamm, das Wasser in der Bucht brodelte und spritzte. Und während das Unwetter tobte, sah Alma zu, wie die Welt um sie her schrumpfte. Vom Meer zogen Nebel und Dunkelheit heran. Zuerst verschwand der Horizont, dann verschwand die Insel Morea in der Ferne, dann das Riff, dann der Strand, und schließlich blieben Roger und Alma allein im Dunst zurück. Die Welt war nun nicht mehr größer als Almas kleines und nicht sonderlich wasserdichtes Haus. Der Wind kam von allen Seiten, der Donner grollte furchterregend, und der Regen peitschte mit aller Kraft heran.
    Dann plötzlich versiegte der Regen für kurze Zeit, und die gleißende Sonne kehrte abrupt, überraschend und hell zurück, doch sie schien nie lange genug, um Almas Matratze vollständig zu trocknen. Dampf stieg in bauschigen Schwaden vom Sand empor. Feuchte Böen fegten von den Hängen herab. Die Luft am Strand flatterte und blähte sich wie ein ausgeschütteltes Bettlaken – als wollte der Strand den gewaltsamen Ansturm abschütteln, der ihm soeben widerfahren war. Dann blieb es ruhig und schwül, ein paar Stunden oder ein paar Tage lang, bis ein weiteres Unwetter heranrollte.
    Es waren Tage, an denen man schmerzlich eine Bibliothek und ein weitläufiges, trockenes, warmes Haus vermisste. Die Regenzeit auf Tahiti hätte Alma in tiefe Verzweiflung gestürzt, hätte sie nicht eine ganz erstaunliche Entdeckung gemacht: Die Kinder aus der Matavai-Bucht liebten den Regen. Und ganz besonders liebten ihn Hiro und Konsorten – wie auch nicht, war es doch eine Zeit des Durch-den-Schlamm-Rutschens, des Durch-Pfützen-Watens und der wagemutigen Wellenritte auf dem zu einem reißenden Strom angeschwollenen Fluss. Die fünf kleinen Jungen verwandelten sich in fünf kleine Otter, die sich an der Nässe nicht nur nicht störten, sondern sie in vollen Zügen genossen. Alle Trägheit, die sie während der heißen, trockenen Zeit der Entbehrungen an den Tag gelegt hatten, war wie weggewaschen und wich einer plötzlichen, wachen Lebendigkeit. Hiro und Konsorten, erkannte Alma, waren wie Moos: Sie mochten in der Hitze austrocknen und welken, doch ein ordentlicher Regenguss ließ sie wieder aufleben. Auch sie waren Meister der Wiederauferstehung, diese außergewöhnlichen Kinder! Sie erwachten in der frisch durchfeuchteten Welt mit so viel Entschlossenheit, Kraft und Überschwang zum Leben,

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