Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
Vom Netzwerk:
gesprochen, konnte ja vielleicht noch als verzeihlich gelten, doch dass er Abhandlungen mit Titeln wie beispielsweise »Die wissenschaftliche Ansicht des Übernatürlichen« publizierte, das war nun wirklich unverzeihlich.
    Alma indessen konnte nicht anders, als Wallace eben aufgrund seiner unorthodoxen Überzeugungen und seiner leidenschaftlichen, furchtlosen Argumente nur noch mehr zugetan zu sein. Ihr eigenes Leben wurde zusehends gesetzter und beschränkter, doch sie beobachtete mit einiger Erheiterung, wie Wallace – dieser wilde, ungezügelte Denker – in gelehrten Kreisen nach allen Seiten Unruhe verbreitete. Darwins aristokratischer Anstand fehlte ihm völlig; er floss schier über von Einfällen, Zerstreuungen und halbgaren Überzeugungen. Und er verweilte auch nie lange bei einer einzigen Idee, sondern schwirrte von Caprice zu Caprice.
    In seinen verstiegensten Ambitionen erinnerte Wallace Alma ganz zwangsläufig an Ambrose, was ihre Zuneigung nur noch steigerte. Wie Ambrose, so war auch Wallace ein Träumer. Er hegte eine besondere Schwäche für alles Wundersame. Nichts, so verkündete er, sei wichtiger als die Erforschung dessen, was den Naturgesetzen zu widersprechen schien, denn wie könnten wir uns überhaupt anmaßen, die Naturgesetze zu begreifen? Alles blieb so lange ein Wunder, bis wir es uns erklären konnten. Wallace schrieb, dass der Mensch, der als Erster einen Fliegenden Fisch gesehen habe, gewiss überzeugt gewesen sei, einem Wunder beizuwohnen – und dass der Mensch, der als Erster einen Fliegenden Fisch beschrieben habe, mit Sicherheit der Lüge bezichtigt worden sei. Alma liebte ihn für derart spielerisch-störrische Argumente. Er hätte sich gut an der Abendtafel von White Acre gemacht, dachte sie häufig.
    Bei alledem ließ Wallace auch seine seriöseren wissenschaftlichen Untersuchungen nicht vollends brachliegen. 1876 veröffentlichte er sein Meisterwerk, Die geographische Verbreitung der Thiere , das sofort als maßgeblicher Text zur Zoogeographie gerühmt wurde. Es war ein furioses Buch. Alma ließ es sich größtenteils von ihrer jungen Verwandten Mimi vorlesen, weil ihre Augen inzwischen zu schlecht geworden waren. Sie war so begeistert von Wallace’ Ideen, dass sie bei bestimmten Passagen laut aufjubelte.
    Dann sah Mimi von der Lektüre auf und sagte: »Du hast wirklich deine Freude an diesem Alfred Russel Wallace, stimmt’s, Tantchen?«
    Und Alma erwiderte lächelnd: »Er ist ein Fürst unter den Wissenschaftlern!«
    Doch bald schon untergrub Wallace seinen eben erst geretteten Ruf abermals, indem er sich immer radikaleren politischen Ansichten zuwandte: Er setzte sich lautstark für die Bodenreform, das Frauenstimmrecht, die Rechte der Armen und Besitzlosen ein. Er brachte es einfach nicht fertig, sich nicht einzumischen. Einflussreiche Freunde und Bewunderer bemühten sich redlich, ihm eine gesicherte Stellung in irgendeiner angesehenen Einrichtung zu verschaffen, doch Wallace war bereits so sehr als Extremist verschrien, dass kaum noch jemand wagte, ihn anzustellen. Alma sorgte sich um seine Finanzen. Sie ahnte, dass er in Geldfragen keine klugen Entscheidungen traf. Wallace war in keinerlei Hinsicht willens, die Rolle des braven englischen Gentleman zu spielen – vielleicht ja, weil er eben kein braver englischer Gentleman war, sondern ein Heißsporn aus der Arbeiterklasse, der nie lange nachdachte, bevor er den Mund auftat, und niemals innehielt, bevor er etwas veröffentlichte. Seine Leidenschaften verursachten einiges Chaos, und die Kontroverse haftete wie eine Klette an ihm, doch Alma wünschte sich, er möge niemals nachgeben. Ihr gefiel es, wie er alle Welt piesackte.
    »Zeig’s ihnen, mein Junge«, murmelte sie vor sich hin, wenn ihr wieder ein neuer Skandal zu Ohren kam. »Zeig’s ihnen!«
    Darwin äußerte sich in der Öffentlichkeit niemals schlecht über Wallace, und Wallace sprach nie schlecht über Darwin, doch Alma fragte sich immer wieder, was die beiden Männer – so brillant und doch so gegensätzlich in Wesen und Art – wohl wirklich voneinander hielten. Im April 1882 wurde ihr diese Frage beantwortet, als Charles Darwin starb und Alfred Russel Wallace, Darwins schriftlich hinterlassenen Anweisungen folgend, bei der Beisetzung des großen Mannes als einer der Sargträger fungierte.
    Da begriff Alma, wie sehr sie einander zugetan gewesen waren. Sie waren einander zugetan, weil sie einander gekannt hatten.
    Bei diesem Gedanken fühlte sich Alma

Weitere Kostenlose Bücher