Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
die fast so groß war wie ihr ganzer Kopf. Dann trafen die Gäste ein, in raschelnde Seide und Puderschwaden gehüllt.
Es war heiß. Den ganzen Monat war es schon heiß gewesen, doch dieser Tag war der heißeste. Mit Rücksicht auf das unangenehme Wetter ließen die Whittakers ihren Ball erst um neun Uhr beginnen, lange nach Sonnenuntergang, doch die beschwerliche Hitze hielt an. Bald hatte sich der Ballsaal in ein feuchtes, dampfendes Treibhaus verwandelt, was die tropischen Pflanzen genossen, die Damen jedoch nicht. Die Musiker schwitzten und litten. Die Gäste strömten ins Freie, wo sie auf den Veranden herumlungerten und sich an Marmorstatuen lehnten, als könnte ihnen der Stein Abkühlung verschaffen.
Um ihren Durst zu löschen, tranken die Leute einiges mehr an Punsch, als sie beabsichtigt hatten. Was natürlicherweise dazu führte, dass die Hemmungen dahinschmolzen und ein allgemeiner Leichtsinn um sich griff. Das Orchester kehrte dem zeremoniellen Ballsaal den Rücken, um draußen auf der weiten Rasenfläche ein munteres Gedudel anzustimmen. Lampen und Fackeln wurden ins Freie gebracht, wo sie wild zuckende Schatten auf die Gäste warfen. Der charmante italienische Astronom versuchte, den Gentlemen aus Philadelphia einige ausgelassene neapolitanische Tänze beizubringen, und drehte auch mit den Damen, die ihn allesamt lustig, draufgängerisch und hinreißend fanden, seine Runden. Er versuchte sogar zur allgemeinen Erheiterung, mit den schwarzen Kellnern zu tanzen.
Eigentlich hätte Pontesilli einen Vortrag halten und anhand von aufwendigen Illustrationen und Berechnungen die elliptischen Bahnen und Geschwindigkeiten der Planeten erklären sollen. Doch die Idee wurde im Laufe des Abends verworfen. Wie sollte man von einer so übermütigen Versammlung erwarten, stillzusitzen und einem ernsthaften wissenschaftlichen Vortrag zu lauschen?
Alma erfuhr nie, wer auf den Gedanken gekommen war – Pontesilli oder ihr Vater –, doch kurz nach Mitternacht beschloss man, dass der berühmte Maestro und Kosmologe auf dem Rasen von White Acre ein Modell des Universums nachbilden und dabei die Gäste als Himmelskörper einsetzen sollte. Es sollte kein exaktes, maßgetreues Modell werden, erklärte der angetrunkene Italiener feierlich, doch es würde den Damen wenigstens eine Ahnung vom Leben der Planeten und ihren Wechselbeziehungen geben.
Mit einer grandiosen Geste, die ebenso gebieterisch wie komödiantisch war, stellte Pontesilli Henry Whittaker – die Sonne – in die Mitte des Rasens. Dann griff er sich weitere Gentlemen heraus, die ihren Gastgeber als Planeten umkreisen sollten. Dabei versuchte Pontesilli, was jedes Mal einen Sturm der Begeisterung auslöste, Männer auszuwählen, die dem Planeten, den sie darstellen sollten, möglichst ähnlich sahen. So wurde der winzige Planet Merkur von einem zwergenhaften, aber würdevollen Getreidehändler aus Germantown verkörpert. Weil Venus und Erde größer waren als Merkur, jedoch beide etwa gleich groß, entschied sich Pontesilli für ein Geschwisterpaar aus Delaware: zwei Brüder, die in puncto Größe, Körperumfang und Hautfarbe praktisch identisch waren. Der Mars musste größer sein als der Getreidehändler, wenn auch nicht ganz so groß wie die Brüder aus Delaware: Ein prominenter Bankier von schlanker Statur passte gut. Für Jupiter suchte sich Pontesilli einen pensionierten Kapitän aus, einen Mann von höchst amüsanter Fettleibigkeit, über dessen korpulente Präsenz im Sonnensystem die ganze Gesellschaft in schreiendes Gelächter ausbrach. Was den Saturn betraf, so passte ein Zeitungsmann, dessen Beleibtheit nicht ganz so extrem, jedoch immer noch erheiternd war. So ging es weiter, bis alle Planeten im richtigen Abstand zur Sonne und zueinander auf dem Rasen verteilt waren. Dann brachte Pontesilli sie auf ihre Umlaufbahn und versuchte verzweifelt, all die betrunkenen, Henry umkreisenden Gentlemen auf ihren Himmelsbahnen zu halten. Bald forderten auch die Damen lautstark, sich dem Vergnügen anschließen zu dürfen, worauf Pontesilli sie den Männern zuordnete – als Monde, die eng um ihre Planeten kreisten. Mit kühler, lunarer Perfektion übernahm Almas Mutter hierbei die Rolle des Erdmondes. Dann schuf der Maestro in den Randbereichen des Rasens Sternenkonstellationen, für die er die strahlendsten jungen Schönheiten des Abends heranzog, die in Grüppchen zusammenstanden.
Das Orchester spielte wieder auf, und die Komposition aus Himmelskörpern
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