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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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namens Israel Whelen abgeschlossen, einem Regierungsbeamten, der die Lewis-und-Clark -Expedition in den Westen Amerikas mit medizinischen Versorgungsgütern ausrüstete. Henry hatte der Expedition bedeutende Vorräte an Quecksilber, Laudanum, Rhabarber, Opium, Kolombowurzel, Kalomel, Brechwurzel, Blei, Zink und schwefelsaurem Salz zur Verfügung gestellt – Dinge, von denen einige tatsächlich einen medizinischen Nutzen hatten und die allesamt sehr gewinnbringend waren. Im Jahre 1804 gelang es deutschen Pharmazeuten zum ersten Mal, die Droge Morphium aus Mohnblumen zu isolieren, und Henry hatte frühzeitig in die Herstellung dieses nützlichen Handelsguts investiert. Ein Jahr später gab man ihm den Auftrag, die gesamte Armee der Vereinigten Staaten mit medizinischen Erzeugnissen auszurüsten. Dies verlieh ihm nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Macht. Ja, die Leute folgten seinen Einladungen.
    Dabei handelte es sich nicht um Veranstaltungen der feinen Gesellschaft, durchaus nicht. Die Whittakers waren dem kleinen, erlesenen Kreis der High Society von Philadelphia niemals wirklich willkommen gewesen. Nach ihrer Ankunft in der Stadt wurden sie zwar einmal von Anne und William Bingham, Ecke Thir d / Spruce Street, zum Dinner eingeladen, allein der Abend war nicht gut verlaufen. Beim Dessert hatte Mrs Bingham, die sich aufführte, als befände man sich am Hofe von St. James, Henry gefragt: »Welcherlei Name ist Whittaker? Ich finde ihn sehr ungewöhnlich.«
    »Mittelenglisch«, hatte Henry erwidert. »Leitet sich ab von Warwickshire.«
    »Ist Ihr Familiensitz in Warwickshire?«
    »Dort und anderswo. Wir Whittakers neigen dazu, uns überall hinzusetzen, wo wir einen Stuhl finden.«
    »Aber Ihr Vater hat doch sicher noch Besitz in Warwickshire, Sir?«
    »Mein Vater, Madam, sofern er noch lebt, besitzt zwei Schweine und den Nachttopf unter seinem Bett. Ich bezweifle, dass ihm auch das Bett gehört.«
    Es sollte vonseiten der Binghams bei dieser einen Einladung bleiben. Die Whittakers gaben vor, sich nichts daraus zu machen, zumal Beatrix die Plaudereien wie auch die Garderobe eleganter Damen missbilligte und Henry langweiliges Salongehabe nicht leiden konnte. Stattdessen schuf er sich oben auf dem Hügel jenseits des Flusses seine eigene Gesellschaft. Eine Abendveranstaltung auf White Acre war keine Spielwiese für Tratsch, sondern ein intellektuell und unternehmerisch anregender Moment geistiger Ertüchtigung. Wenn es irgendwo auf der Welt einen jungen, unerschrockenen Mann gab, der interessante Dinge vollbrachte, wollte Henry ihn an seinem Tisch haben. Wenn ein ehrwürdiger Philosoph nach Philadelphia kam oder ein angesehener Mann der Wissenschaft oder ein vielversprechender Erfinder, wurden diese Männer eingeladen. Manchmal kamen auch Frauen zum Dinner – Ehefrauen von hochgeachteten Denkern oder Übersetzerinnen wichtiger Bücher oder interessante Schauspielerinnen auf Amerika-Tournee.
    Manchen war Henrys Tafel zu viel. Die Mahlzeiten waren opulent – Austern, Beefsteak, Fasan –, doch alles in allem war es nicht eben erholsam, in White Acre zu dinieren. Gäste mussten damit rechnen, dass man sie ausfragte, hinterfragte und provozierte. Anerkannte Widersacher wurden nebeneinandergesetzt. Auf innigen Überzeugungen wurde herumgetrampelt bei diesen Tischgesprächen, die nicht mit höflichen Worten, sondern mit harten Bandagen geführt wurden. Manche Honoratioren verließen White Acre mit dem Gefühl, Demütigungen ungeahnten Ausmaßes erlebt zu haben. Andere Gäste, die vielleicht schlauer waren oder dickhäutiger oder dringender auf Unterstützung angewiesen, verließen White Acre mit lukrativen Verträgen, nützlichen neuen Partnerschaften oder dem passenden Empfehlungsschreiben an einen wichtigen Mann in Brasilien. Das Speisezimmer von White Acre war ein gefährliches Terrain, doch ein Sieg konnte den Grundstein für eine lebenslange Karriere legen.
    Alma hatte man im Alter von vier Jahren an diesem streitlustigen Tisch willkommen geheißen, und oft wurde sie neben ihren Vater gesetzt. Sie durfte Fragen stellen, solange ihre Fragen nicht idiotisch waren. Manche Gäste fanden das Kind sogar charmant. Ein Experte für chemische Symmetrie rief einmal aus: »Oha, du bist so schlau wie ein kleines Buch, das sprechen kann!« Ein Kompliment, das Alma niemals vergessen sollte. Bei anderen bedeutenden Wissenschaftlern zeigte sich, dass sie es nicht gewohnt waren, von einem kleinen Mädchen ausgefragt zu

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