Das Wiegen der Seele (German Edition)
Deckenventilators störte die wohltuende Stille. Dietmar Löffler hatte es sich auf seinem Schreibtischsessel bequem gemacht und tippte auf einer veralteten Schreibmaschine langsam seine von Hand geschriebenen Notizen zu lesbaren Sätzen für die Mordakte Crampton .
In diese Ruhe hinein wurde die Bürotür ohne vorheriges Anklopfen aufgerissen. Ralf Nettgen betrat den Raum und warf die Holztür mit einem lauten Knallen ins Schloss. Er setzte sich auf eine Ecke des Schreibtisches und starrte Löffler herausfordernd an.
„Mein Gott, Ralf, geht das auch etwas leiser? Eines Tages brichst du die Tür aus den Angeln!“, nörgelte Löffler mit erhobener Stimme.
„Hattest du heute Morgen keinen festen Stuhlgang? Warum bist du so mies gelaunt?“, grinste Nettgen und warf die Blätter mit seinen Übersetzungsergebnissen auf den makellosen Tisch . „Oder musstest du letzte Nacht wieder im Einzelzimmer schlafen?“ , fügte er sarkastisch hinzu. „In diesem Fall würde es dir wahrscheinlich helfen, dich mal umzudrehen und die Süße auf dem Kalender etwas eingehender zu betrachten . “ Er lachte über seinen eigenen Scherz, bis ihm die Tränen in den Augen standen. Mit einem Blick auf Löffler registrierte er jedoch, dass der noch nicht einmal darüber schmunzeln konnte. Löfflers Gesichtsausdruck ähnelte für einen Augenblick dem eines Serienkillers. Wahrscheinlich hatte Nettgen – ohne es zu wissen – den Nagel auf den Kopf getroffen.
Nettgen hatte von unterwegs Verpflegung mitgebracht und warf nun eine große Tüte, mit Fettflecken dekoriert und mit Hot Dogs gefüllt, auf den Tisch. Löfflers Blick verfinsterte sich noch mehr.
„Ist ja schon gut, kleiner Scherz am Rande. Hier, hau rein, damit du was auf die Rippen bekommst“ , entschuldigte er sich. „Gibt es was Neues?“
„Na ja, die Lehrerin unserer Tochter informierte uns über eine Schlägerei, bei der sie einen Mitschüler ganz schön übel zugerichtet hat. Dann hatte ich richtig Stress mit meiner Frau, weil ich das Treppenhaus noch immer nicht gestrichen habe und heute Morgen habe ich nach dem Aufstehen einen penetranten Geruch aus dem Wohnzimmer wahrgenommen. Leider musste ich feststellen, dass Josy hinter die Couch gekotzt hatte. Aber sonst alles in Ordnung“ , grummelte Löffler.
„Dass du dieses Vieh noch nicht auf den Toaster geschmissen hast! I ch war heute Morgen bei Frau Crampton. Sie hat mir einiges über ihren Mann erzählt und ist dann mit mir in die Gerichtsmedizin gefahren. Hat ihren Mann eindeutig identifiziert. Starke Frau. Und das Fahrgestell ist auch nicht von schlechten Eltern ...“ , schwärmte Nettgen.
Löffler schüttelte nur missbilligend den Kopf und griff in die Tüte. „Und was sind das da für Kritzeleien?“, fragte er mit einem tadelnden Unterton in der Stimme d abei lockerte er seine Krawatte und krempelte die Hemdsärmel auf.
„Ich habe die ganze letzte Nacht damit verbracht, über Literatur zu brüten, die ich mir in der Stadtbibliothek besorgt habe. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe die ersten Zeichen enträtseln können.“ An dieser Stelle fügte Nettgen eine rhetorische Pause in seinen Bericht ein. Das hatte er von Löffler gelernt. Er wusste, dass Löffler seine Neugierde kaum im Zaum hatte, sich aber lieber die Zunge abgebissen hätte, anstatt nachzufragen. Nur Löfflers Augen verrieten seine Neugier. Nettgen griff ebenfalls in aller Ruhe in die Tüte, roch an der Wurst, biss genüsslich hinein und fing in aller Seelenruhe zu kauen an. Nach ein paar spannungsgeladenen Sekunden fuhr er gnädig fort: „Bisher deutet alles darauf hin, dass die Symbole gelegte Spuren sind. Klingt verrückt, ist aber durchaus denkbar, denn vermutlich haben die Entdeckungen von Crampton was damit zu tun. Seine Frau erzählte mir über seine letzten Ausgrabungen in Ägypten und merkwürdige Geschehnisse vor Ort“, erklärte Nettgen. „Ich hab rausgefunden, dass die Symbole auf der Wand Anubis, den Totengott der alten Ägypter, darstellen. Es gab da wohl ein Ritual, bei dem das Herz des Toten mit einer Feder aufgewogen wurde. – Na, klingelts ?“
Löffler kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, lehnte sich zurück und strich nachdenklich über seine Bartstoppeln.
„Jetzt bin ich platt“, meinte er. „Hast du einen Plan? Wie kann es weitergehen ? “
„Nicht nur einen“, griente Nettgen. „Du übernimmst Plan A , ich Plan B .“
„Und was ist bitte Plan A und Plan B ? Ich schätze mal, ich hab wieder das
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