Das wilde Herz der Highlands
hatte, widerfahren musste. Abermals hielt sie den Atem an und versuchte vergeblich, über ihr pochendes Herz hinweg zu hören, was sich in der Kapelle tat. Die Stille schien sich endlos hinzuziehen. Behutsam atmete Seonaid durch den Mund, denn was geschah, hinter dem Behang durch die Nase zu atmen, wusste sie inzwischen zu gut.
Endlich kam sie zu dem Schluss, dass wohl nur jemand die Tür geöffnet und kurz hereingelugt hatte, um dann wieder weiterzugehen. Gerade wollte sie hinter dem Teppich hervortreten, als ein leises Poltern zu hören war. Jemand war mit dem Fuß gegen eine der Bänke gestoßen. War ihr Unterschlupf entdeckt worden?
„Lady Seonaid?“
Seonaid erstarrte, als sie ihren Namen vernahm, erkannte die Stimme aber und schob den Teppich beiseite.
„Schwester Blanche!“ Hastig sah sie sich im Raum um, fasste Schwester Blanche bei der Hand und zog sie zu sich hinter den Vorhang. „Was tut Ihr hier? Im Kloster sind Männer“, flüsterte sie.
„Aye, ich weiß.“ Schwester Blanche seufzte. „Ich suche schon seit einer ganzen Weile nach Euch, um Euch zu warnen. Der Engländer ist da.“
Seonaid blinzelte in der Dunkelheit. „Nay, es sind Schotten.“ „Keineswegs. Ich habe sie gesehen, als sie den Hügel vor dem Kloster erklommen haben. Es sind Engländer, denn sie führen das Banner des Königs mit sich. Dessen bin ich mir sicher.“ „Ist Euch auch nur ein einziger Engländer mit Plaid bekannt?“ Seonaid spürte, wie Schwester Blanche zusammenzuckte.
„Mit Plaid?“
„Aye, der Mann, den ich gesehen habe, trug ein Plaid.“ „Unmöglich.“ Heftig schüttelte sie den Kopf und wirbelte damit Staub auf. „Ihr müsst Euch geirrt haben.“
„Er stand keine zehn Fuß von mir entfernt, Schwester. Seine Knie waren nackt, seid versichert. Schotten sind es, die ins Kloster eingedrungen sind, und ich bin sicher, dass es Cameron ist. Deshalb haben wir Lady Helen versteckt. Wir müssen sie fortschaffen. Ihr wisst bestimmt, was passiert, wenn sie ihm in die Hände fällt.“
Bedrücktes Schweigen folgte. Plötzlich drängte sich Schwester Blanche hinter dem Teppich hervor. Seonaid folgte ihr und sah erstaunt, dass sie sich ohne viel Federlesens ihrer dunklen Nonnentracht entledigte.
„Was tut Ihr da?“
„Ich war es, die die Tür entriegelt hat“, erwiderte die Schwester grimmig. „Die Ehrwürdige Mutter hat es von mir verlangt, weil sie hofft, dass dieser Engländer Euch mitnimmt. Sie verübelt Euch noch immer die zerbrochene Karaffe. Und die Sache mit Schwester Merediths Fuß.“
Seonaid fluchte. Die Kristallkaraffe der Mutter Oberin hatte sie gleich am ersten Tag in einen Scherbenhaufen verwandelt. Sie hatte ihre Schwertscheide nach hinten geruckt, um zu verhindern, dass sie damit ein Glas vom Tisch stieß. Stattdessen war besagte Karaffe zu Bruch gegangen. Und was Schwester Meredith anging: Die gute Schwester war hinter Seonaid vorbeigegangen, als diese gerade am Altar kniend ihre Gebete sprach. Da Seonaids Beine länger waren als die der übrigen Frauen, hatten sie weiter in den Raum hineingeragt, und die arme Meredith war darüber gestolpert und hatte sich beim Sturz den Knöchel gebrochen.
„Es tut mir wirklich leid.“ Schwester Blanche rang sichtlich mit einem schlechten Gewissen. „Sie hat mir befohlen, nach Eurem Verlobten Ausschau zu halten und alle aus dem Garten zu holen und in die Klosterkirche zu schicken. Anschließend sollte ich die Pforte aufsperren. Ich konnte mich ihrer Weisung nicht widersetzen, da sie gedroht hat, mich in Schande nach England zurückzuschicken. Daher wollte ich Euch warnen, habe Euch aber nirgends aufspüren können.“ Sie schaute zu Lady Helen, die ebenfalls hinter dem Wandbehang hervortrat, das Gesicht leichenblass vor Furcht. „Ich dachte, es seien Engländer“, jammerte Blanche bei ihrem Anblick schuldbewusst, ehe sie ihre eigenen Empfindungen resolut beiseiteschob und Lady Helen ihren Habit in die Hände drückte.
„Hier, legt meine Tracht an.“
Erstaunt hob Seonaid die Brauen ob des herrischen Tonfalls, und es überraschte sie nicht, dass Lady Helen der Anweisung prompt nachkam und sich daranmachte, ihr Gewand abzulegen.
„Wir tauschen die Kleider, und danach zeige ich Euch einen geheimen Ausgang.“ Während Schwester Blanche sprach, half sie Lady Helen aus dem Gewand. „Sollten wir den Männern begegnen, schützt Euch die Tracht vielleicht. Männer schenken Nonnen gemeinhin keine Beachtung. Womöglich können wir sie durch den
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