Das wilde Herz der Highlands
scheuchen würde. Wenigstens hoffte sie das. Bis Dunbar war es nicht mehr weit. Sofern sie sich bei Sonnenuntergang erneut auf den Weg machten, konnten sie im Laufe des morgigen Vormittags da sein.
„Die Pferde müssen sich ausruhen“, erklärte sie, während Aeldra sie einholte. „Wenn die Tiere tot unter uns zusammenbrechen, kommen wir nicht weit.“
„Oh, verstehe.“ Helen klang nicht begeistert, wandte jedoch nichts ein.
„Wir hätten Dunbar längst erreicht, wenn man uns unsere Pferde ließe“, murrte Aeldra, als sie bei den Bäumen anlangten. „Ganz recht“, pflichtete Seonaid ihr bei.
„Ist verdammt unbequem, mit diesem riesigen Rindvieh George Strohkopf zu reiten.“
„Little George“, berichtigte Helen sie.
Aeldra schnaubte abfällig. „Wenn Ihr mich fragt, müsste er George Strohkopf heißen.“
Laut lachte Seonaid auf, und die anderen beiden sahen sie überrascht an. „Macht er dir Schwierigkeiten, hm?“
„Aye, mit ihm zu reiten ist ungefähr so angenehm, als sitze man auf einem hüpfenden Findling.“
Seonaid schüttelte nur den Kopf. Ihr war aufgefallen, dass Aeldra auf dieselbe Weise vor Little George im Sattel saß wie sie vor Sherwell - stocksteif und gespannt wie eine Bogensehne. Das weckte die Frage in ihr, ob ihre Cousine sich zu dem Hünen so hingezogen fühlte wie sie sich zu Sherwell. Aber sich die beiden als Paar zu denken war so lachhaft, dass sie nur abermals den Kopf schütteln konnte. Es war, als stelle man sich einen riesigen irischen Wolfshund neben einem grazilen Windhund vor.
„Mit Lord Rolfe zu reiten, finde ich höchst angenehm“, sagte Helen. Seonaid und Aeldra schauten sie an. „Ich fühle mich warm und geborgen, und einen Großteil der Zeit döse ich vor mich hin oder schlafe.“
„Dann sollte Sherwell Euch als Wache postieren“, neckte Aeldra sie. „Wahrscheinlich seid Ihr die Einzige, die in den vergangenen zwei Tagen überhaupt geschlafen hat.“
„Gut möglich“, erwiderte Helen versonnen. „Vielleicht sollte ich Lord Rolfe wirklich diesen Vorschlag machen.“
Lachend trennte sich Seonaid von den beiden, um sich wie die anderen ein stilles Örtchen zu suchen. Aber der Gedanke ließ sie nicht los. Sie hatte Helen heute gleich mehrmals schlummern sehen und zweifelte nicht daran, dass sie auch in der Nacht zuvor ausreichend Ruhe gefunden hatte. Wie eine verschmuste Katze hatte sie sich an Lord Rolfe geschmiegt und fest geschlafen, sicher geborgen in seinen Armen. Vermutlich war sie tatsächlich die Einzige unter ihnen, die noch in der Lage war, Wache zu halten oder sonst etwas zu tun. Wenn Seonaid und Aeldra ihrem Beispiel folgen würden, sobald sie heute Abend wieder im Sattel saßen, dann wären sie bei der Ankunft auf Dunbar Castle die Einzigen, die noch fähig wären, etwas zu unternehmen - beispielsweise gleich wieder davonzureiten, während die Männer sich von der Reise ausruhten. Bei dieser Vorstellung musste Seonaid leise lachen.
„Was ist so lustig?“, wollte Aeldra wissen, als die drei dort wieder zusammenkamen, wo sie auseinandergegangen waren. „Ich meine, ich hätte gerade dein boshaftes Lachen vernommen.“
„Soso, mein boshaftes Lachen“, entgegnete Seonaid amüsiert. Dann erklärte sie, was sie derart amüsierte.
„Die Frauen wirken recht fröhlich“, sagte Blake argwöhnisch, während er sie den Hügel heraufkommen sah. „Was haben sie jetzt wohl vor?“
„Vermutlich gar nichts“, erwiderte Rolfe Kenwick, der sie ebenfalls beobachtete. „Ihre gute Laune rührt zweifellos daher, dass sie die Einzigen unter uns sind, die geschlafen haben.“
Blake schaute ihn erstaunt an. „Hat Schwester Helen während des Ritts geschlafen?“
„Wie ein Säugling in den Armen seiner Mutter. Lady Seonaid etwa nicht?“
„Nay“, gestand Blake und ließ den Blick abermals zu den Frauen wandern. Seonaid hatte keineswegs geschlummert, sie hatte sich nicht einmal entspannt. Die ganze Zeit über hatte sie steif wie ein Brett vor ihm gesessen, sodass auch ihm eine lockere Haltung verwehrt gewesen war. Es war ein äußerst ungemütlicher Ritt gewesen.
Er wandte sich ab, um sich einen geeigneten Platz für ein Nickerchen zu suchen. Es würde keine ausgedehnte Rast werden, denn bei Einbruch der Dunkelheit würden sie sich wieder auf den Weg machen müssen.
Blinzelnd schlug Seonaid die Augen auf und blickte verschlafen zu dem hübschen Gesicht über ihr auf. Ihr freudiges Lächeln erstarb, noch ehe es sich Bahn gebrochen hatte,
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