Das wilde Herz der Highlands
Stehlen wir uns nun davon, während die Männer schlafen?“
„Wir müssen den Geheimgang nehmen“, verkündete Aeldra. „Sherwell ist in der Halle. Er schläft auf einem Stuhl beim Kamin und wacht bei jedem Geräusch sofort auf. So war es auch, als ich eintrat.“
„Geheimgang?“, fragte Helen neugierig.
„Aye, er endet unten beim Dorf. Wir können ... “
„Wir gehen nirgendwohin“, fiel Seonaid ihr ins Wort, woraufhin die beiden sie erstaunt anstarrten.
„Wie bitte?“ Helen klang enttäuscht. „So bringt Ihr mich nicht heim nach England?“
Seonaid rang ihr Schuldgefühl nieder und zuckte mit den Achseln. „Ich habe darüber nachgedacht, ehe ihr geklopft habt. Wenn Cameron Eure Verkleidung durchschaut hat, Helen, und uns gefolgt ist, ist er womöglich so versessen darauf, Euch endlich zu schnappen, dass er sich vor der Burg auf die Lauer legt. Wenn dem so ist, würden wir riskieren, ihm direkt in die Arme zu laufen.“
„Oh.“ Helen zog die Stirn kraus. „Das hatte ich nicht bedacht.“
Wieder zuckte Seonaid mit den Schultern. „Hier seid Ihr sicher, bis Euer Vater Euch holen kommt. Wir werden ihm einen Boten schicken, um ihn wissen zu lassen, wo Ihr seid.“
Helen nickte und schaute zu Aeldra hinüber, die das Wort ergriff.
„Also wirst du dich stellen und Sherwell heiraten?“
Seonaid sah ihr in die Augen, wandte den Blick aber sogleich ab, als sie Aeldras versonnenen Ausdruck bemerkte. Die Schuld erstickte sie schier. Wäre sie nicht erst geflohen und hätte Sherwell stattdessen sofort geheiratet...
„Kommt nicht infrage“, warf Helen entschieden ein. „Ihr müsst nicht meinetwegen hierbleiben. Sofern Euer Vater nichts gegen meine Anwesenheit hat, komme ich auch so zurecht. Ihr zwei solltet wie geplant fort.“
Mit einem Schulterzucken drehte Seonaid sich zum Fenster um. „Nay, wir bleiben.“
„Aber wieso?“, wollte Helen verwirrt wissen. „Ich dachte, Ihr wolltet Blake Sherwell nicht heiraten?“
Einmal mehr zuckte Seonaid mit den Schultern. Schweigend verfolgte sie das Treiben im Burghof.
„Wollt Ihr ihn etwa heiraten?“, hakte Helen nach.
Helens Hartnäckigkeit verstimmte sie. „Sagen wir, ich gebe auf. Dass ich ihn heiraten muss, weiß ich schließlich, seit ich denken kann.“ Dieses Schicksal war ihr von Kindesbeinen an vor Augen gehalten worden - mit verwirrenden Folgen. Einerseits hatte sie die Vorstellung verabscheut, ihn ehelichen zu müssen, andererseits jedoch ...
All die Jahre hatte ihr Vater über den älteren Sherwell gewettert. Gegen ihren Bräutigam allerdings hatte er nichts anderes vorzubringen gehabt, als dass er „das Balg dieses Hundsfotts Sherwell“ sei. Was Seonaid an verlässlichen Auskünften über ihren Bräutigam erhalten hatte, stammte aus anderen Quellen. Im Laufe der Jahre war der eine oder andere Besucher nach Dunbar gelangt, und sobald zur Sprache gekommen war, wem Seonaid versprochen war, hatte so mancher Geschichten über Blake Sherwell zum Besten gegeben.
Alle hatten ihn als hübschen Jungen beschrieben, der schon in jungen Jahren die Menschen für sich einzunehmen wusste. Mit zunehmendem Alter war er immer charmanter und ansehnlicher geworden, und waren Frauen unter den Besuchern Dunbars, so hatten sie Seonaid schwärmerisch beschieden, was für ein Glück sie doch habe. Schließlich war er erwachsen geworden und hatte sich seine Sporen verdient, und damit veränderte sich auch der Ton der Erzählungen. Blake Sherwell, wurde Seonaid nun zugetragen, wartete nicht einfach auf das Ableben seines Vaters, um sich dessen Titel und Vermögen anzueignen, wie andere Söhne es getan hätten. Er war ehrgeizig und hatte sich mit einem Freund namens Amaury de Aneford zusammengetan, und gemeinsam hatten sie einige Krieger um sich geschart und sich jedem angedient, der einen starken Schwertarm brauchte. Sie kämpften erfolgreich, und die Zahl ihrer Gefolgsleute hatte zugenommen, bis Sherwell und Aneford Hunderte befehligten und zu beträchtlichem Reichtum gelangt waren.
Auch über seine Manneskraft wurde geredet. Er war stattlich, konnte mit Worten umgehen und setzte beides ein, um unzählige Damen zu verführen. Die Gemahlin eines Besuchers hatte eigens einen unbeobachteten Moment abgepasst, um sich vor Seonaid damit zu brüsten, dass Sherwell auch sie ins Bett gelockt habe und sie dieses Vergnügen nicht so rasch vergessen werde. Seonaid, mit den Eigenheiten von Männern und Frauen sehr wohl vertraut, hatte die gehässige Bemerkung
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