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Das wilde Leben

Das wilde Leben

Titel: Das wilde Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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an und sagte etwas im Befehlston. Die Soldaten ließen die Maschinenpistolen sinken, Árendás sah, daß der Kommandant irgendwas in Händen hielt, aber was es war, das sah er nicht, weil der Kommandant mit dem Rücken zu ihm stand. Was ist, fragte er, ziehen Sie wieder ab?
    Der Kommandant drehte sich zu ihm um und nickte. Sie hatten recht, sagte er, besser nichts riskieren. Es ist unwahrscheinlich, daß ein Helikopter es bei diesem Wetter hier heraufschafft. Der Wind wird stärker, wahrscheinlich gibt es ein Gewitter. Wir gehen zu Fuß hinunter.
    Árendás blickte zum Himmel, im Osten hingen ein paar blasse graue Schleierwolken, sonst war der Himmel durchweg klar. Weiß der Teufel, sagte er und blickte wieder den Verletzten an, und was ist mit dem, der ihn angegriffen hat?, fragte er.
    Der Kommandant winkte ab, er deliriert doch nur, der Unglückliche, sagte er, er ist beim Absprung einfach falsch aufgekommen.
    Bei diesen Worten machte er eine Geste, und Árendás entdeckte, daß der Kommandant eine weiße Plastiknelke in der Hand hielt. Er warf einen Blick auf die Kränze an der Geröllhalde, doch dort fehlte keine einzige Blume. Árendás lächelte, setzte sich auf einen der großen flachen Steine und sah zu, wie die Soldaten den Verletzten hochhoben und
mit ihm auf den schmalen Bergpfad zumarschierten, der sich zwischen den Felsen hinabschlängelte. Der eine trug immer noch seine Schnapsflasche, und wieder dachte Árendás, daß er sie zurückfordern sollte, dann blickte er zu den Kränzen auf dem Geröll, wo die Fallschirme lagen, in deren grünseidenen Saum der Wind immer wieder hineingriff, und er sagte lieber nichts, ich sollte besser ein paar Steine auf die Fallschirme legen, dachte er, damit das Gewitter die kostbare Seide nicht vom Berg fegt.
    Zapfenstreich
    Früher hatte Árendás den Regen nicht gemocht, doch seit er hier oben unter dem Kreuz wohnte, gefiel er ihm immer mehr. Wenn es regnete, wurden die Steine auf dem Weg rutschig, und niemand traute sich, die zwölf Kilometer zwischen der letzten Wachhütte unten und der Radarstation hier oben in Angriff zu nehmen; an Regentagen kam niemand herauf, und man konnte ungestört unter der Zeltplane sitzen, die zwischen der Betonwand und dem Felsen aufgespannt war, und seinen Gedanken nachhängen oder lesen oder die Wolken oder das vom Himmel herabstürzende graue Wasser beobachten. Manchmal, wenn er lange genug auf dem alten Eselsattel saß und in die grauen Striche starrte, war ihm, als würden sich bestimmte Gestalten herausbilden, alle möglichen Gesichter und Tierköpfe: Wildschweine, Gemsen, Hunde, Pferde.
    An diesem Tag war Árendás dabei, Gamsfallen zusammenzubauen, er legte die dazu nötigen Teile schön ordentlich nebeneinander, Batterien, leere Konservendosen, Fur
nierplatten, die er aus den zerstörten Schreibtischen und Spinden herausgesägt hatte, das zu Pulver gestampfte Steinsalz, den feuchten Lehm und die Schale zum Mischen, dann öffnete er den Metallschrank und nahm die Bomblets heraus, wischte eins nach dem anderen fein säuberlich ab, klappte den Pfeifenstopfer seines Schweizermessers auf und begann die Abdeckkapseln der Geschosse aufzuhebeln.
    Er wußte nicht genau, nach welchem Prinzip die Streubomben funktionierten, mit denen der Bunker zerstört worden war, doch einmal, noch während der Bombardierungen, hatte er im Fernsehen eine Animation gesehen, die veranschaulichte, daß die Bombe innen wie ein Granatapfel aussah und viele kleine Bomblets transportierte, die sich beim Einschlagen aus der Bombe herauslösen und überall hinrollen würden, in Luftschächte und Spalten, sie würden erst nach einigen Minuten explodieren und so die Innenräume eines Betonbunkers beschädigen oder ganz zerstören. Viele der Bomblets waren damals nicht explodiert, Árendás hatte diese Blindgänger vor allem an der hinteren Wand des Radarraums gefunden, in den Ruinen des früheren Ersatzteillagers; anfangs hatte er sie in die Bergschluchten hinuntergeschleudert, bis er dahintergekommen war, daß man sie sich auch anderweitig zunutze machen konnte.
    Er arbeitete schnell, seine Finger fanden zwischen den sechseckigen Dornen leicht die schmale Vertiefung, in die der Pfeifenstopfer eindringen und die Kapsel vorsichtig aufdrücken konnte, worauf die fingernagelgroße Scheibe an der Innenfläche aufsprang und das Gewinde zum Vorschein kam, man mußte es nur noch aufschrauben und den Zünder behutsam herausziehen, dann konnte man den rosafarbenen

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