Das Wing 4 Syndrom
nach Malili ging. Malili sah zu weit entfernt und zu kalt für Menschen aus. Keth dachte, es könnte vielleicht besser sein, ihn einfach den Humanoiden zu lassen. Aber das sagte er jetzt nicht, weil Pflegeschwester Vesh aufgehört hatte, ihn anzusehen. Sie preßte das Gesicht an die Wand, und ihr schlanker Körper zitterte. Er schlich sich auf Zehenspitzen davon. Sie tat ihm leid.
Sein Vater hieß Ryn Kyrone. Ein hochgewachsener brauner Mann, der in seiner schwarzen Uniform sehr aufrecht dastand und in einem versteckten Hinterzimmer arbeitete, wo Keth nicht hingehen konnte. Die Stahltür blieb verschlossen, und ein kleines hektisch rot blinkendes Licht erinnerte seinen Vater daran, wenn die Tür nicht verschlossen war.
Manchmal schlief sein Vater in dem Zimmer, und manchmal brachte er Schwester Vesh die Quotenpunkte für sein Frühstück. Aber häufiger war er in Angelegenheiten unterwegs, die den Schutztrupp betrafen. Darüber redete er aber nie; er redete überhaupt nicht sehr viel.
Nicht einmal über die Narbe, eine lange, ausgebleichte Naht, die im Zickzack von seinem Haaransatz herunterführte und sein Kinn teilte. Wenn er zornig war, veränderte sie die Farbe, und er war oft zornig: wenn Keth mehr als seine Zuteilung verlangte, wenn Keth seine Stiefel nicht korrekt binden konnte, wenn Keth Angst hatte, zu Bett zu gehen, weil er wußte, daß er dann wieder schreckliche Träume über die Humanoiden haben würde.
Keth wußte, daß sein Vater auf Malili verletzt worden war, vielleicht in einem schrecklichen Kampf mit den Humanoiden. Sie mußten sehr wild und grausam sein, wenn sie einen Mann verletzen konnten, der so stark wie Ryn Kyrone war. Einmal fragte Keth Schwester Vesh, ob sein Vater Angst habe. Ihr Gesicht wurde ausdruckslos, und ihre hellen Augen blickten leer an ihm vorbei.
„Er ist tapfer genug“, murmelte sie. „Aber er kennt die Humanoiden.“
Als Keth sechs wurde, schickte sie ihn jeden Morgen in die Sporthalle. Die anderen Kinder kamen ihm zuerst seltsam vor, weil sie lachten und rannten und manchmal flüsterten, wenn der Führer Ruhe forderte. Sie hatten vor nichts Angst, und sie waren nett zu ihm.
Der Führer versuchte sie einmal auszuscheren und erklärte ihnen, daß Keth die Spiele nicht kannte, weil er auf Malili zur Welt gekommen war. Aber das machte es nur schlimmer. Sie nannten ihn nun „Mondbaby“ und machten sich über seine Art zu sprechen lustig. Einmal schubste ihn ein größerer Junge.
„Das wird dir leid tun!“ Seine Stimme zitterte, aber er weinte nicht. „Mein Vater …“ Dann fiel ihm etwas Besseres ein. „Die Humanoiden werden dich holen!“
„Humanoiden, ha!“ Der Junge streckte ihm die Zunge heraus. „Eine alberne, alte Geschichte.“
„Meine Pflegeschwester sagt …“
„Unser Baby hat also eine Pflegeschwester!“ Der Junge schob sich näher an ihn heran und schickte sich an, ihn noch einmal zu stoßen. „Mein Paps war Ingenieur in der Zone, und er sagt, es gibt dort keine Humanoiden. Er sagt, der Felsrost würde sie aufhalten.“
Als er durch die kalten Tunnels nach Hause hinkte, fragte er sich, ob das wohl stimmen konnte. Was nun, wenn Schwester Vesh die Humanoiden erfunden hatte, bloß, um ihm Angst zu machen?
Er fand sie in ihrem Zimmer, wo sie ein seltsames, altes Flachdruckbuch las.
„Du sollst dich nicht prügeln.“ Vesh runzelte die Stirn, als sie das Blut an seiner Wange sah. „Oder hast du gewonnen? Wenn du weggelaufen bist, wird dein Vater böse sein.“
„Ich bin gestürzt, aber es tut nicht weh.“ Er beobachtete sie scharf. „Ich habe mit einen Jungen gesprochen. Er sagt, es gibt keine Humanoiden.“
„Du Narr!“
Sie preßte die Lippen zusammen und öffnete das Buch, um ihm einen Humanoiden zu zeigen. Das Bild war flach und seltsam, aber das, was es zeigte, wirkte echt. Mehr Mensch als Maschine, glatt und schwarz und kahl, so elegant wie ein Tänzer. Er fand, sein schmales Gesicht wirkte freundlicher als das von Vesh.
„Es ist nicht häßlich.“ Er studierte es, wünschte, er könnte die goldene Schrift auf seiner schwarzen Brust lesen. „Es sieht viel zu nett aus, um böse zu sein.“
„Die tun auch so, als wären sie gut.“ Sie nahm ihm das alte Buch weg und klappte es zu, als wäre der Humanoide ein Insekt, das sie zerdrücken wollte. Die Staubwolke, die dabei von dem Buch aufstieg, ließ ihn niesen. „Wenn du jemals auf einen ihrer Tricks hereinfällst, bist du auch ein Narr.“
Er fragte sich, wie eine Maschine
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