Das Wing 4 Syndrom
neues Zimmer zeigen“, sagte sie, als er seinen Teller wegschob. „Mein Vater hat es gebaut, als Vara Vorn noch ihm gehörte – bevor er wegging und starb. Eine Schande, daß die Humanoiden zu spät nach Kyronia kamen, um ihn zu retten. Dann hat mein Onkel es als Arbeitszimmer benutzt, bis er in die Zone ging. Meine Tante hat es für mich renovieren lassen.“ Sie stiegen eine lange Wendeltreppe hinauf. Die vielen Windungen machten ihn benommen. Einmal hätte er fast das Gleichgewicht verloren, aber sie hielt ihn am Arm fest. Ihre elektrische Berührung und der Duft, der von ihr ausging, erfüllten ihn mit einer Welle warmen Begehrens, und einen Augenblick lang vergaß er fast, die Humanoiden zu fürchten.
Es war das Zimmer ganz oben, wo er mit Admiral Vorn gesprochen hatte. Die Endwinterlandschaft, Kilometer unter den weiten Thermofenstern, wirkte seltsam leuchtend und kalt. Als er darauf hinausblickte, schwankte er wieder unsicher.
„Gerade rechtzeitig!“ Die Erregung ließ ihr Flüstern kehlig klingen. „Ich habe die Sonnenfinsternis immer gern gehabt.“
Er hatte zur Sonne hinübergebückt, einem großen, orangeroten Ball, den der weit entfernte weiße Horizont auseinanderschnitt. Aber jetzt sah er, daß sie die Fenster hinter ihm durchsichtig gemacht hatte, um ihm den Schatten von Kai zu zeigen, klein und rund und ganz schwarz, wie er über die riesige kupferfarbene Kuppel von Malili kroch.
„Als ich noch ein Kind war, ließ mein Onkel mich immer hier herein, um ihnen zuzusehen.“ Sie berührte sanft seine Hand. „Ich dachte dann immer an meinen Vater und die Pläne, von denen er mir erzählt hatte. Ich dachte, solche Verfinsterungen würden mir Glück bringen.“ Sie trat näher an ihn heran, und ihr Flüstern wirkte noch intimer. „Vielleicht bringt die hier uns beiden Glück.“
„Als ich ein Kind war, habe ich nie Verfinsterungen von Malili gesehen.“ Seine Zunge war schwer. „Das gibt es nur in den Mom-Mondzeiten, und da war ich stets unter der Erde. Ich erinnere mich, wie Malili die Sonne verdeckte. Stundenlang war es finster, der Himmel dunkel und seltsam, ein kalter Wind wehte, und manchmal gab es ein Gewitter.“
Er schauderte, vielleicht in Erinnerung an jene schwarzen Verfinsterungen, vielleicht auch der düsteren Kälte wegen, die von der Schneelandschaft ausging, und vielleicht auch wegen irgend etwas, das er vergessen hatte. Denn Chelni war so nah und so warm und so lieb, und er griff nach ihrer Hand und zog sie an sich. Sie hob das Gesicht, um ihn zu küssen, und ihr Mund trug den Duft des Weines, den sie getrunken hatte.
Das Bett war eine riesige Plattform, rund wie der Raum, mit seidenweichem weißem Mutochsenfell bedeckt. Sie schob ihn von sich, um Atem zu holen, und zog ihn dann sanft auf das Bett zu.
„Davon habe ich immer geträumt“, flüsterte sie. „Als ich noch hoffte, daß du in die Flotte eintreten würdest.“
23
Wing IV Der erste Planet der Humanoiden und zugleich Standort des rhodomagnetischen Komplexes, der die Humanoiden antreibt und steuert. Der Planet und der ihn umgebende Weltraum im Radius von fünf Lichtjahren ist für Menschen verboten.
Keth taumelte, als hätte der hohe Raum auf seinem eisbedeckten Berggipfel sich unter seinen Füßen bewegt. War das dem Wein des Navarchen zuzuschreiben? Oder Chelni selbst? Alles andere schien verschwommen und undeutlich, nur sie strahlte förmlich von innen heraus. Ihr durchsichtiges rotes Kleid glitt auf den Teppich, und ihre nackte Schönheit raubte ihm den Atem.
Einen Augenblick lang konnte Keth sich überhaupt nicht bewegen. Lautlos war sie näher getreten, und der von ihr ausgehende Moschusduft wirkte betäubend auf ihn. Ihre geschickten Finger halfen ihm, sein Hemd abzulegen. Der Duft ihres weichen Haares stieg ihm in die Nase. Sie beugte sich vor, um seine Hose zu öffnen, als ihm plötzlich bewußt wurde, daß sie vielleicht die Rhodowaffe in seiner Tasche entdecken könnte.
Ein Schrecken durchzuckte ihn.
„Der Wein!“ Er trat einen Schritt zurück. „Ich fürchte, wir sind betrunken.“
„Angst?“ Sie richtete sich auf, lachte. „Verzeih mir, Liebster. Ich vergesse immer wieder, wie viel du noch lernen mußt. Du brauchst nie wieder etwas zu fürchten. Du nicht und die ganze Gesellschaft nicht und auch kein einzelnes menschliches Wesen. Weder Not noch Schmerz. Nicht, seit …“
Ihr munteres Lächeln verspottete ihn.
„Ich hatte gewollt, daß wir die Humanoiden vergessen, aber ich
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