Das Wing 4 Syndrom
Navarchen – die wird die ganze Nacht dauern. Und die Angestellten haben frei.“
In der Küche – der größten, die er in seinem bisherigen Leben gesehen hatte – überhäufte sie einen winzigen Tisch mit Fleisch, Obst und Süßigkeiten, wie sie seine Quotenkarte nie erlaubt hatte, und öffnete dann eine Flasche Champagner, von der sie sagte, daß sie ein Geschenk des Navarchen selbst sei.
Obwohl ihm nach den ersten paar Bissen das Wasser im Mund zusammenlief, vergaß er zu essen. Chelni saß zu dicht bei ihm. Ihr Parfüm war zu stark, ihr scharlachrotes Kleid zu durchsichtig, der ganze Zauber, der von ihr ausging, zu überwältigend. Er konnte einfach nicht anders, er mußte sie anstarren.
„Was ist denn, Liebster?“ Sie lehnte sich aufregend nahe zu ihm. „Du hast doch keine Angst vor mir?“
„Aber vor den Humanoiden.“ Er zuckte unwillkürlich ein wenig zurück. „Schwester Vesh hat mir immer mit ihnen Angst gemacht, als ich noch ganz klein war. Und ich bin mein ganzes Leben lang darauf vorbereitet worden, gegen sie zu kämpfen. Ich kann einfach nicht glauben, daß sie so herrlich und gut sind, wie der Navarch sagt. Jeder, der auf der Fortune war“ – er versuchte zu lächeln, aber die Angst schlich sich in seine Stimme –, „ihr alle macht den Eindruck, als hättet ihr eine – Gehirnwäsche hinter euch.“
„Das ist das falsche Wort, Liebster.“ Ihre gerunzelte Stirn wirkte gleichzeitig tadelnd und doch bezaubernd. „Ein häßliches Wort, das nicht fair ist uns gegenüber und ihnen gegenüber auch nicht.“ Sie füllte die Gläser. „Ich hatte schon befürchtet, daß du es nicht verstehen würdest. Deshalb habe ich dich kommen lassen. Wir wollen auf das Erste Gebot trinken. Liebster, es hat uns befreit!“
22
Verfinsterung Phänomen, das durch den Schatten eines Himmelskörpers verursacht wird, der auf einen anderen fällt. Malili, das viel größer ist, erzeugt regelmäßig monatliche Verfinsterungen, die gewöhnlich auf ganz Kai als totale Verfinsterung wahrgenommen werden. Verfinsterungen auf Malili sind wegen des kleineren Schattens von Kai selten, kurz und nur partiell.
Keth hatte nur selten Wein gekostet, weil Studenten keine Quotenpunkte für Alkohol bekamen. Er nippte unsicher. Das Getränk war nicht so süß, wie er erwartet hatte. Es brannte auf der Zunge und kitzelte ihn in der Nase. Ein leichter, erregender Nachgeschmack verblieb ihm im Mund.
„Es tut mir wirklich schrecklich leid, daß wir uns in Kratersee streiten mußten.“ Ihre Stimme wurde tiefer, klang jetzt fast wie ein Hauch, bedauernd. „Es hat mir weh getan, dich zu verlassen, aber ich mußte an die Pflicht denken, die ich meinen Leuten und meiner Stellung schuldig war. Eine grausame Wahl, aber eine, die wir jetzt nicht mehr zu treffen brauchen. Wir Vorns brauchen nämlich die Flotte nicht mehr zu leiten. Ist das nicht herrlich?“
Er nickte verlegen.
„Liebster!“ In ihren großen Augen leuchteten Tränen. „Kannst du mir nicht verzeihen?“
„Habe ich denn unrecht gehabt?“ Er beugte sich zu ihr hinüber, bis die alte Angst ihn wieder erfaßte. „Wenn ich nur den Mut hätte zu glauben, daß die Humanoiden das sind, was der Navarch sagt …“
„Ich werde dich überzeugen.“
„Wenn du kannst …“ Er richtete sich auf, griff nach einem unerwarteten Hoffnungsfaden. „Es gibt so viel, was ich wissen möchte. Kannst du mir sagen, ob die Humanoiden Sonden oder Stationen auf Malili haben?“
„Ein Märchen!“ Der Gedanke schien sie zu verstimmen, und sie warf ihr glattes schwarzes Haar in den Nacken. „Eines jener albernen Märchen, die wir aus der Welt schaffen müssen. Ebenso wie diesen paranoiden Verdacht von Leuten wie deinem Vater, daß harmlose Menschen Humanoidenagenten sind. Dieses Eingeborenenmädchen, in das du dich an der Akademie verliebt hast – wie auch immer sie hieß. Oder der komische kleine Mann mit dem seltsamen altmodischen Namen – Bosun, nicht wahr?“
Er fragte sich, wieviel sie wohl über Bosun Brong wußte.
„Aber hinter den Märchen verbergen sich doch Tatsachen.“ Er runzelte die Stirn, weil ihr Spott ihn verstimmte, und sprach viel zu schnell: „Die Humanoiden sind rhodomagnetisch, und man hat auf Malili Rhodostrahlungsquellen ausfindig …“
„Wo auf Malili?“ Ihr Kopf fuhr plötzlich zu ihm herum, und ihre großen Augen musterten ihn. Die Pupillen waren auf winzige schwarze Punkte zusammengeschrumpft. „Wer hat sie entdeckt?“
Eisige Furcht
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