Das Winterhaus
einen Schritt zurücktrat, erwartete sie, daß er sagen würde: »Und jetzt zieh dich aus, Maia. Leg dich aufs Bett.«
Aber das tat er nicht, und als sie ihn anblickte, sah sie, daß das Begehren in seinem Blick sich in Entsetzen gewandelt hatte. Endlich konnte sie sich wieder bewegen. Sie zog ihr Kleid gerade, richtete ihr Haar, wischte sich den Mund mit ihrem Taschentuch, um alle Spuren seiner Berührung von ihrem Körper zu entfernen. Als sie fertig war, starrte er sie immer noch an, aber sie wußte, daß er sie nicht mehr begehrte.
»Mein Gott«, sagte er, »du bist nicht im entferntesten interessiert, nicht wahr?« Und seine Stimme zitterte ein wenig. »Du interessierst dich nur für Gewinnspannen und Kontobücher – du interessierst dich nur für Geld.«
Sie machte keinen Versuch, ihm etwas zu erklären. Sie wußte, daß es sinnlos gewesen wäre.
»Es ist besser, du gehst jetzt, Charles.«
»Du Luder. Du eiskaltes Luder.«
»Geh jetzt. Bitte.«
»Du bist normaler menschlicher Regungen überhaupt nicht fähig, stimmt's, Maia? Du bist nicht fähig zu lieben.«
Er packte seinen Mantel, den er auf einen Sessel geworfen hatte, und rannte aus dem Zimmer. Die Haustür fiel krachend zu, dann heulte draußen ein Motor auf, und Charles Maddox fuhr davon. Sie goß sich noch einen Drink ein. Ihr war kalt, und sie hatte Kopfschmerzen. Sie legte ihren Pelzmantel um und kuschelte sich in einen Sessel und trank langsam ihren Gin. Sie fragte sich, ob er recht hatte. Ob sie überhaupt je die Fähigkeit zu lieben besessen hatte, und ob, wenn ja, Vernon sie ihr ebenso geraubt hatte wie ihre Unschuld und ihre Selbstachtung.
Guys Stück, das den Titel Links an der Kreuzung trug und sechs Wochen laufen sollte, hatte Premiere. Das Theater, in dem es aufgeführt wurde, reichte schließlich doch nicht an Francis' Erwartungen heran. Statt eine glanzvolle Premiere in einem Westend-Theater zu erleben, saßen sie fröstelnd in einem zugigen Gemeindesaal in Islington. Doch der Saal war voll bis auf den letzten Platz – Guy hatte bereits mit zwei Gedichtbänden von sich reden gemacht, und Francis hatte Freunde genug, um den Saal gleich dreimal zu füllen. Von der nationalen Presse erschien niemand, dafür die Vertreter vieler kleiner linksorientierter Zeitungen und Zeitschriften. Eine einzige flammende Anklage des kapitalistischen Systems, schrieb eine. Das Stück, das ganz in Plankversen geschrieben war und mit der traditionellen Form des Dreiakters brach, wurde getragen von einem Chor, dessen Mitglieder Masken trugen, und einem halben Dutzend weiterer Figuren. Die ganze Handlung spielte sich an einer Straßenkreuzung ab, die auf einer beinahe kahlen Bühne durch breite Streifen farbigen Lichts repräsentiert wurde. Am Ende des Stücks bewegten sich die Lichter langsam aufwärts, bis das Kreuz, nunmehr ganz in Rot, auf der hinteren Bühnenwand stand und der Protagonist, Francis' Rolle, nach links von der Bühne abging. »Gar nicht dumm«, meinte der wie wild applaudierende Merlin beifällig zu Robin. »Der Sozialismus als neues Christentum.«
Robin und Francis verbrachten das Wochenende zusammen. Sie fuhren am Samstagabend nach Suffolk, mieteten sich am folgenden Morgen ein Boot und schipperten gemächlich die Küste entlang. Robin übernahm das Ruder, Francis die komplizierten Segelmanöver. Das Meer war grün und opak, wie von Wellen überflutetes Glas, und im kalten Wind lag die Schärfe des nahenden Winters.
Einige Tage später nahm Robin die Eisenbahn nach Norden. Neil Mackenzie hatte ihr eine Unterkunft bei Freunden von sich in Leeds besorgt, weil er ihr gemeinsames Buch gern mit einem Kapitel über die Armut in den Industriegebieten des Nordens ergänzt sehen wollte. Robin hatte den Eindruck, tausend schmutzige, verrußte Straßen hinauf und hinunter marschiert zu sein, tausend dunkle, enge Häuser besucht zu haben. Das Innere der Häuser war deprimierend vertraut; die Armut hatte überall das gleiche Gesicht, ob in Leeds oder in London. Die schmutzigen Flickenteppiche auf dem rissigen Linoleum, die Mäntel statt Decken auf den fleckigen Matratzen, das Ungeziefer: all das kannte sie aus dem East End Londons. In Yorkshire schien es nur mehr von allem zu geben – mehr ärmlich gekleidete Männer, die an Straßenecken herumstanden, mehr blasse, verhärmte Frauen, die vor ihrer Zeit alt geworden waren.
Auch kälter war es. Die Winde, die über das Hochmoor fegten, bündelten sich in den schmalen Straßen und bliesen die
Weitere Kostenlose Bücher