Das Winterhaus
Charles Maddox gesagt, und sie hatte seine Beschuldigung nicht zurückweisen können. Wenn sie sich zu Männern nicht hingezogen fühlte, brauchte sie es dann dennoch, daß Männer sich zu ihr hingezogen fühlten? Oder kam die Niedergeschlagenheit nur daher, daß sie es plötzlich schrecklich fand, an einem Samstagabend mutterseelenallein zu Hause zu sein, wenn man erst vierundzwanzig Jahre alt war? Seit einiger Zeit war es so, daß sie das erste Wochenende im Monat, das Wochenende, an dem sie stets verschwand, herbeisehnte. Was anfangs Pflichterfüllung gewesen war, war zur Freude geworden. Sie merkte, daß ihr die Tränen kamen. Zornig wischte sie sich die Augen und schenkte sich noch einen Gin ein.
Vor einem Jahr noch hätte sie jeden Abend ausgehen können. Aber dann war Edmund Pamphilon gestorben. Selbstmord, hatte der Befund der Leichenschau gelautet, und seitdem sahen die Menschen sie mit anderen Augen an. Wo früher Bewunderung und Begehren gewesen waren, waren jetzt Abneigung und – Furcht. Welch eine Ironie, dachte Maia oft, daß vom Tod der beiden Menschen, die ihr nahegestanden hatten – ihr Vater und ihr Ehemann –, nichts an ihr hängengeblieben war, während der Tod eines Mannes, den sie für unbedeutend gehalten hatte, der in ihren Augen nichts weiter gewesen war als ein untüchtiger Angestellter, dazu geführt hatte, daß die Leute sie mit Verachtung straften.
Sie mußte, obwohl sie es nicht wollte, an ihr Gespräch mit Mrs. Pamphilon denken. Sie hatte nicht vor diesem Pflichtbesuch gekniffen; sie hatte getan, was ihr als Edmund Pamphilons ehemaliger Arbeitgeberin oblag, und hatte seine kranke Witwe aufgesucht, um ihr zu kondolieren. Sie hatte höflichen Dank für ihr Blumengebinde und den Früchtekorb und ihr Angebot einer Pension erwartet oder schlimmstenfalls unterschwelligen, tränenreichen Groll. Statt dessen war sie mit Zorn und Haß und Wutfauchen empfangen worden. Glauben Sie im Ernst, ich würde von der Frau, die meinen Mann umgebracht hat, auch nur einen Penny nehmen?« Maia drückte die Augen zu bei der Erinnerung, kippte den Rest ihres Gins hinunter und starrte ins Feuer.
Vernon war in jener Nacht zu ihr gekommen. Seine Besuche waren selten, beschränkten sich auf ihre Träume. Er hatte am Ende ihres Betts gekniet und sie ausgelacht. Sie hatte eine Weile gebraucht, um zu begreifen, warum er lachte – weil sie wie er geworden war. Sie hatte seine Skrupellosigkeit, seine Gleichgültigkeit dem Wohl anderer gegenüber übernommen. Sie hatte geschrien: »Ich wollte mich doch nur sicher fühlen«, aber er hatte weitergelacht.
Helen wartete, bis ihr Vater aus dem Haus gegangen war, dann lief sie leise nach oben. Betty arbeitete in der Küche, und Ivy nahm draußen die Wäsche von der Leine, wie Helen sah, als sie zum Flurfenster hinausschaute. Sie ging durch die verwinkelten Korridore des Pfarrhauses zur Treppe zum Speicher, stieß oben die Falltür auf und trat in die dämmrigen, von Spinnweben durchzogenen Räume unter dem Dach.
Die staubbedeckten Gegenstände, die hier oben herumstanden – der Elefantenfuß, das Victrola, der Kinderwagen, der Hutkoffer –, waren ihr im Lauf des letzten Jahres vertraut geworden. Mit einem leichten Flattern der Erregung stieß Helen die Tür zu dem kleinen Zimmer am Ende des Speichers auf.
Ihr Zimmer. So war ihr Zimmer unten im Haus nie ihr Zimmer gewesen. Dieses Zimmer wurde nicht von den Mädchen ausgefegt, und ihr Vater trat nicht ohne anzuklopfen ein, wenn sie sich gerade das Haar bürstete oder ihre Schuhe knöpfte. Sie hatte den Staub an dem kleinen Fenster gelassen, weil sie fürchtete, es könnte jemandem auffallen, wenn sie es säuberte. Außerdem gefiel ihr das wolkige Grau zwischen ihr und der Außenwelt. Sie fühlte sich geborgen. Sie hatte begonnen, sich hier oben umzusehen, obwohl sie anfangs Angst gehabt hatte, man würde ihr Rumoren unten hören, wenn sie Kisten herumschleppte und in alten Truhen kramte. Der Staub und die Spinnen hatten sie auch nicht gerade ermutigt; einmal hatte sie eine Maus gesehen, die mit schwarz glänzenden Äuglein auf einer alten Chiffonniere hockte, und hatte sich schnell den Mund zuhalten müssen, um nicht laut aufzuschreien. Doch vor ein paar Tagen hatte sie unter den schrägen Dachbalken die Truhe entdeckt. Sie hatte das Vorhängeschloß mit einer Geschicklichkeit und Kraft aufgebrochen, die sie selbst erstaunt hatten, und hatte im Schein einer Kerze, die sie etwas prekär auf eine Ecke der Truhe
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