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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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etwas, das ein Pinguin sein sollte. Als sie fertig waren, war es dunkel geworden, und sie mußten den Garten mit Fackeln erleuchten und Schneebälle an Robins Fenster werfen, bis sie herausschaute und applaudierte und Daisy sie alle ausschimpfte, weil sie so ein Getöse machten.
    Jeden Morgen unternahm Joe lange Wanderungen über die vereisten Fens, häufig allein, manchmal mit Hugh oder Richard. Richard, der ihm gleich zu Beginn seines Aufenthalts das Geständnis entlockt hatte, daß die Fotografie seine große Leidenschaft war, bestand zuerst darauf, sich die Aufnahmen anzusehen, die Joe aus Yorkshire mitgebracht hatte, und dann, ihm seine alte Boxkamera zu leihen. Stundenlang hockte Joe im eisverkrusteten Schilf, die schwere Kamera auf einem Stativ, und versuchte die öde, geheimnisvolle Landschaft einzufangen. Er hatte seine Liebe zu diesem Stück Land entdeckt, irgend etwas an dieser Abgeschiedenheit, dieser spröden Unzugänglichkeit verzauberte ihn. Er fuhr nach Cambridge und kaufte Material, um die Bilder zu entwickeln und Abzüge zu machen, und arbeitete dann Stunden hintereinander im eiskalten Geräteschuppen von Blackmere Farm, dessen Fenster er zugehängt hatte, damit kein Licht eindringen konnte. Wenn er zusah, wie im Entwicklerbad aus dem latenten Bild sich langsam ein sichtbares herausschälte, empfand er eine beinahe schon vergessene Befriedigung. Richard Summerhayes, der sich die Aufnahmen von Marschwiesen und kahlen Wegen ansah, drängte ihn sachte weiterzumachen und kritzelte den Namen eines ihm befreundeten Fotografen in London auf die Rückseite eines Briefumschlags. Joe protestierte verlegen, aber zum erstenmal seit Jahren sah er einen Weg, der weiterführte.
    An dem Tag, an dem er las, daß Adolf Hitler, der Führer der Nazipartei, zum Reichskanzler ernannt worden war, wanderte er stundenlang über Felder und Wiesen. Er hatte das Gefühl, hier könnte nichts sie berühren, hier seien sie sicher. Es war unvorstellbar, daß die Grausamkeiten des Faschismus jemals in diese uralte Stille eindringen sollten; unmöglich auch, sich vorzustellen, daß dieses der See abgerungene Land je von der Bedrohung des Krieges erreicht werden sollte.
    Einen Tag später blieb Robin zum erstenmal den ganzen Tag auf, und sie feierten ihre Genesung. Daisy kochte ein opulentes Mittagessen, und Richard öffnete eine Flasche Wein. Das Gespräch sprang ungezügelt zwischen Politik, Musik und Literatur hin und her. Nach dem Kaffee und nachdem Richard Klavier gespielt und Daisy gesungen hatte, hockte Robin sich neben Joes Sessel nieder und sagte: »Komm, ich möchte dir mein Winterhaus zeigen, Joe.«
    »Dann zieh aber mein Kaninchen an, Robin«, rief Daisy. »Und, Joe, Sie bringen sie in spätestens einer halben Stunde zurück.«
    Robin trug also Daisys von den Motten angenagten Pelzmantel, als sie zusammen über die schneebedeckte Wiese zu der kleinen Hütte gingen.
    »Würdest du bitte Feuer machen, Joe, und die Lampe anzünden.« Das Holz im Ofen war schon aufgeschichtet; die Lampe hing von einem Haken in der Decke herab. Die Hütte leuchtete wie eine Schatzkammer im goldenen Licht.
    »Das sind alles meine Sammlungen, und das sind die Zweige, die Maia mir mitgebracht hat, und das ist die Zeichnung, die Helen von uns drei gemacht hat.«
    Er betrachtete die Bleistiftzeichnung, die an die Holzwand gepinnt war. Drei junge Mädchen: eine dunkelhaarig, eine blond und Robins vertrautes, geliebtes Gesicht.
    »Das sind deine Freundinnen?«
    »Hm. Aber wir haben uns, glaube ich, auseinandergelebt.« Ihre Stimme klang traurig.
    »Du bist gut getroffen.«
    Sie lächelte. »Ja, nicht wahr?« Sie kniete vor dem Herd nieder und wärmte sich die Hände.
    Er sagte: »Ich sollte abreisen …« Die alte Rastlosigkeit hatte ihn wieder überkommen, da er wußte, daß dies nur ein Zwischenspiel war, eine vorübergehende Zuflucht, nicht mehr.
    »Gehst du nach Yorkshire zurück?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Es war … schwierig.« Joe lehnte sich ans Fenster, dessen Scheibe von Eisblumen überzogen war. »Und du, Robin? Bleibst du noch länger hier?«
    Sie stand auf und kam zu ihm. Es war angenehm warm geworden in der kleinen Hütte. »Nein, ich denke, ich gehe bald wieder nach London«, sagte sie: »Es war wunderschön hier – es ist komisch, weißt du, ich war nie gern hier, aber es war so friedlich. Aber ich habe vieles zu tun.« Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. »Komm mit mir nach London, Joe.«
    Einen Augenblick lang wagte er

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