Das Winterhaus
sie zu dem Restaurant, in dem sie sich alljährlich trafen. Nachdem er sie auf beide Wangen geküßt hatte, sie zu essen bestellt hatten und Neon den Wein gewählt und gekostet hatte, sagte sie: »Klären Sie mich auf, Léon. Sie sind doch genauso ein Gewohnheitstier wie ich. Dieses Treffen ist sehr unerwartet.«
Der Kellner füllte ihre Gläser.
»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, ma chère Maia.«
Sie sagte nichts, sah ihn nur an.
»Einen geschäftlichen Vorschlag«, erläuterte er. »Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen sagte, ich wolle mich nach neuen Möglichkeiten in New York umsehen?«
Natürlich erinnerte sie sich. Diesen Tag würde sie niemals vergessen. Dem Mittagessen mit Léon Cornu war die Konsultation bei dem Arzt in der Harley Street gefolgt. »Meiner Meinung nach, Mrs. Merchant …«
»Maia – fühlen Sie sich auch wohl?«
Sie kehrte hastig in die Gegenwart zurück und lächelte. »Absolut, Léon, danke. Also, Sie sagten, New York …?«
»Ich war im Frühjahr sechs Wochen dort. Ich habe sehr ansprechende Räume in der Fifth Avenue aufgetan. Nicht zu groß und nicht zu klein. Zu groß, um lediglich Dessous zu verkaufen, aber nicht groß genug für den Verkauf von langweiligen Artikeln –«, er machte eine wegwerfende Handbewegung, »– wie Möbeln oder elektrischen Lampen.«
Während der Kellner die Vorspeisen servierte, musterte Maia Léon Cornu mit forschendem Blick, sagte aber zunächst nichts.
Er fügte hinzu: »Ich dachte mir – Wäsche, Damenoberbekleidung und vielleicht eine kleine erlesene Parfümerie.«
»Léon – warum erzählen Sie mir das alles?«
»Um Sie zu fragen, ob Sie sich an diesem Unternehmen nicht beteiligen möchten, Maia.«
»Was? – Aber Léon, wie soll das denn gehen?«
»Es ist ganz einfach.« Er streute Salz über seine Nierchen. »Sie steigen in ein Flugzeug und fliegen über den Atlantik. Ganz einfach, wie gesagt.«
Maia hatte ihr Essen noch nicht angerührt. Sie kniff die Augen zusammen. »Als Partnerin – oder als Geschäftsführerin?«
»Als beides, hoffe ich. Allein müßte ich kämpfen, um das Kapital für ein solches Unternehmen aufzubringen. Ich würde die Fabrik leiten und Sie das Geschäft. Wir könnten sehr gut zusammenarbeiten, meinen Sie nicht?«
Maia legte ihre Gabel aus der Hand. Einen Moment lang verschlug es ihr fast den Atem bei der Vorstellung, in ein Flugzeug zu steigen und weit fortzufliegen, so weit, daß Erinnerungen und Vergangenheit sie nicht mehr einholen könnten.
Sie schüttelte den Kopf. »Das geht nicht, Léon. Die Firma –«
»Sie haben doch einen tüchtigen Geschäftsführer, Maia.«
»Liam?«
»Der gegen etwas mehr Verantwortung und etwas mehr Geld gewiß nichts einzuwenden hätte. Sie brauchen die Firma ja nicht zu verkaufen , Maia. Sie könnten Eigentümerin des Kaufhauses Merchant bleiben, während sie unser neues Geschäft in New York einrichten und leiten.«
»Ja.« Sie hatte Schwierigkeiten, klar zu überlegen, aber sie sah, daß es möglich war. Nachdenklich meinte sie: »Oberbekleidung und Wäsche, sagten Sie?«
»Und Parfüm.«
»Und Kosmetika. Das ist ein Wachstumsmarkt, Léon. Mit Riesengewinnen.«
Der Kellner kam an den Tisch und trug Maias unberührte Vorspeisen ab. Léon Cornu lachte.
»Sie sind also doch nicht unlösbar mit Cambridge verbunden, meine liebe Maia?«
Sie ließ sich die Frage einen Moment durch den Kopf gehen. »Nein. Nein, das bin ich nicht. Aber das Kaufhaus …« Das war eine schwierigere Entscheidung. Sie hatte das Kaufhaus aus eigener Kraft zu dem gemacht, was es heute war.
»Es ist ganz natürlich, daß Sie an Ihrer Firma hängen. Sie ist Ihr Kind. Aber Kinder werden erwachsen, Maia.«
Sie erinnerte sich der ersten Jahre. »Was habe ich gekämpft , Léon!«
»Natürlich. Und jetzt sind Sie zufrieden, sich zurückzulehnen und auf Ihren Lorbeeren auszuruhen?«
»Das bestimmt nicht.« Sie warf ihm einen empörten Blick zu. »Ach! Sie necken mich nur.« Sie brachte ein Lächeln zustande.
»Ein wenig.« Er schenkte ihnen Wein nach. »Denken Sie über meinen Vorschlag nach, Maia. Ich melde mich bei Ihnen.«
Später, als sie das Restaurant verließ, wurden die Vorteile von Léon Cornus Vorschlag klarer. Sie könnte einen neuen Anfang machen. Einen neuen Anfang in einer Stadt, wo sie nicht nach ihrer Herkunft und nicht nach dem gesellschaftlichen Klatsch, der ihren Ruf beinahe zerstört hatte, beurteilt werden würde, sondern nach ihrem Können und ihrem Talent. Die
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