Das Winterhaus
richtete Eddie auf und gab ihm Wasser zu trinken. Dann legte er sein eigenes Gewehr weg. Er wußte, daß die Schlacht von Jarama für ihn ebenso vorüber war wie für den Jungen. Als es Abend wurde und die Marokkaner mit ihren braunen Gesichtern und schwarzen Umhängen das Tal zu durchqueren begannen, wußte Hugh, daß er Eddie in ein Lazarett bringen mußte. Aus der Wunde sickerte immer noch Blut, und Eddies Atem war wie sein eigener mühsam und flach. Hugh zog den Arm des Jungen um seine Schultern und machte sich auf den Weg, den vom Tal abgewandten Hügelhang hinunter.
Er suchte nach einer Erste-Hilfe-Stelle oder Ambulanz, aber er fand keines von beiden. Er schien sich mitten in einem Teilrückzug zu befinden. In der Befürchtung, im Chaos von Männern und Geräten eingeschlossen zu werden, schlug er eine Richtung ein, die vom Schlachtfeld wegführte. Eddie an sich gedrückt, schleppte sich Hugh Kilometer um Kilometer weiter und verlor bald alle Orientierung. Es wurde stockfinster, als Wolken sich vor den Mond und die Sterne schoben. Ab und zu murmelte er Eddie ein paar beruhigende Worte zu, aber seine eigenen Schmerzen waren inzwischen beinahe unerträglich geworden. Statt der Hitze des Fiebers plagte ihn nun bittere Kälte. Er wußte, daß er so nicht mehr lange weitermachen konnte. Er war gescheitert. Er hatte dem Jungen gegenüber und sich selbst gegenüber versagt.
Er hörte den Geschützdonner nicht mehr. Entweder hatte die Nacht ihn zum Schweigen gebracht, oder er hatte sich sehr weit von der Front entfernt. Er glaubte, sich nie in seinem Leben so verlassen gefühlt zu haben. Als aus der Dunkelheit plötzlich eine dunkle Form auftauchte, riß Hugh ein Streichholz an und sah, daß sie vor einer kleinen steinernen Hütte standen. Das Dach war strohgedeckt, die Tür stand halb offen. Er half Eddie hinein. Auf dem Boden lagen Stroh und Asche, die Überreste eines Feuers. Eine Schäferhütte, vermutete Hugh. Es war das vernünftigste, den Rest der Nacht hierzubleiben. Am Morgen, wenn es hell geworden war, würde er noch einmal versuchen, die Sanitäter zu finden.
Hugh schichtete das Stroh zu einem Haufen auf und ließ den Jungen behutsam darauf nieder. Er deckte ihn mit seinem Mantel zu. Eddie war bald eingeschlafen. Hugh saß auf dem Lehmboden und starrte zur Tür hinaus. Das Fieber war zurückgekehrt, glühende Hitzewellen überschwemmten seinen Körper. Der Schmerz hatte sich ausgebreitet, strahlte jetzt in seine ganze Brust aus und zwang ihn, in kleinen, schmerzhaften Stößen zu atmen. Er vermutete, daß er eine Lungenentzündung hatte.
Endlich schlief auch er ein. Er träumte, daß er mit Maia im Boot auf dem Fluß hinter Blackmere Farm dahintrieb. Es war warm und sonnig, und an den Ufern blühten gelbe Sumpfdotterblumen. Libellen schwirrten durch die dunstige Luft, und ihre schlanken Körper glänzten wie Gold, Saphir und Smaragd in der Sonne. Ein Eisvogel mit leuchtendem Gefieder hockte auf dem Ast eines Baums. Maia, deren Augen so blau waren wie die Schwingen des Eisvogels, lächelte.
Aber da blieb sein Ruder an einem Stein hängen, das Boot kenterte und stürzte sie beide in den Fluß. Unter dem stillen Wasserspiegel war eine andere Welt, die nur aus flirrenden Schatten bestand. Der Grund des Flusses war mit Muscheln gesprenkelt, und darüber lagen schwankende Bänder von Tang. Er wollte Maias Hand fassen, um ihr zu helfen, aber sie entwich ihm, immer knapp außer Reichweite. Wasser füllte seine Lunge, und er rang um Atem. Sein ganzer Körper schrie nach Luft. Husten war eine Qual. Als Hugh erwachte, hörte er das Atmen des Jungen, schnell und mühsam. Nach einer Weile döste er wieder ein, immer wieder von schrecklichen Träumen aus dem seichten Schlummer gerissen.
Endlich sah er, als er die Augen öffnete, durch die offene Tür die frostig grauen Hügel. Er blieb still liegen und genoß die Schönheit des frühen Morgens und die Stille. Dann drehte er sich herum und sah nach dem Jungen. Eddie lag reglos, und der hellrote Fleck auf seiner Uniformjacke war bräunlich geworden. Er stand auf und berührte das Gesicht des Jungen. Es war kalt.
Hugh wußte, daß auch er sterben würde, wie Eddie. Zorn erfaßte ihn, als er an das Leben dachte, das ihm verwehrt worden war. Er hatte nie geheiratet, er hatte nie Kinder gezeugt, er war nie gereist, außer an Kriegsfronten. Er hatte ein Leben aus zweiter Hand gelebt, Leidenschaft und Abenteuer vor allem in Büchern und in der Musik gefunden, Engagement
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