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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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bewundert, ohne es selbst zu wagen. Und jetzt sollte ihm selbst dieses Schattendasein genommen werden.
    Die Kälte hatte von ihm Besitz ergriffen und seine Hände und Füße gefühllos gemacht. Dennoch suchte er in seiner Tasche nach Papier und Bleistift. Er mußte den Stift in die ganze Faust nehmen, um überhaupt schreiben zu können. Er wollte denen, die sie finden würden, mitteilen, was geschehen war, welch eine Verschwendung es alles war, wie heroisch und schändlich der ganze Kampf. Aber am Ende schrieb er nur: »So kalt.« Die Buchstaben waren riesig und unförmig. Dann legte er sich nieder, den Kopf auf dem Stroh, und sah zur Tür hinaus. Kleine Schneeflocken fielen herab und schwebten leise durch die stille Luft. In der Ferne erleuchtete die Sonne das Tal, als sie mit breiten Strahlen den Nebel durchdrang. Hugh meinte, nie etwas Schöneres gesehen zu haben, und es erbitterte ihn, daß er dies alles verlassen sollte. Das glucksende Wasser in seiner Lunge zwang ihn, um jeden Atemzug verzweifelt zu kämpfen. Furcht packte ihn und trieb ihm Tränen in die Augen.
    Dann sah er plötzlich, daß er auf der Veranda des Winterhauses stand. Maia und Robin schwammen unten im Teich, und Helen saß neben ihm. Er hörte Gelächter und Vogelgezwitscher. Maia rief: »Kommst du rein, Hugh, Darling?«, und er lächelte und trat vor und fühlte, wie das warme, freundliche Wasser ihn aufnahm.
    Als die Kämpfe im Jarama-Tal begannen, zog die Sanitätseinheit, der Robin angehörte, von Madrid näher an die Front. Nach einigem Suchen fanden sie im Südosten der Stadt eine leerstehende Villa, die einmal der Landsitz eines spanischen Adligen gewesen war. Sie war riesengroß und elegant und in Verfall geraten. Überall hingen Spinnweben, und der Glanz der Marmorböden und der Rosenholzmöbel war gedämpft von einer dicken Staubschicht. Sie nahmen die Villa wegen ihrer großen, hohen Räume und wegen des einen Hahns, der kostbares fließendes Wasser lieferte.
    Die ganze Nacht hindurch schrubbten sie die Böden, wuschen die Wände ab, transportierten Ölgemälde und Dekorationsstücke in die Nebengebäude und den Speicher. Sie stellten Betten und Pritschen in den Zimmern auf, richteten Operationsräume ein und einen Anmeldungsraum, um die Verwundeten einteilen zu können. In den frühen Morgenstunden trafen die ersten Sanitätsfahrzeuge ein. Achtzig Männer am ersten Tag, einhundertzwanzig am zweiten, über zweihundert am dritten. Schlaf gab es für niemanden. In der imposanten Eingangshalle der Villa mit den in Gold abgesetzten Wänden und dem geschnitzten Treppengeländer wurden die Verwundeten in drei Kategorien eingeteilt: solche, die dringend behandelt werden mußten; solche, die man ruhig ins Basiskrankenhaus in Madrid weiterschicken konnte; und solche, für die man nichts mehr tun konnte, außer ihre Schmerzen zu lindern.
    Robins Arbeit beschränkte sich nicht mehr nur aufs Bettenmachen und Pfannenleeren. Unter den Fluten von Verwundeten brachen die Rangordnungen, die in Madrid gegolten hatten, zusammen, und Robin packte überall mit an. Sie maß Temperaturen, stillte Blutungen, wechselte blutdurchtränkte Verbände und schnitt den Männern, die auf den Tragen lagen, die Kleider vom Leib, während sie ihnen leise Trost zusprach. Einmal mußte sie in der Nacht mit einer Taschenlampe dem Chirurgen bei einer Operation leuchten, weil der Strom ausgefallen war. Sie lernte, unermüdlich weiterzuarbeiten, auch wenn rundherum Bomben fielen, auch wenn das ganze Haus bebte und der Stuck von den Wänden fiel. Material war knapp; sie mußte Leintücher in Streifen reißen, weil sie nicht genug Verbandzeug hatten; sie mußten aus Bänken und Sesseln provisorische Betten bauen. Noch in den letzten Winkeln der Villa lagen Verwundete; Empfangsräume und breite Korridore, die einst spanischen Granden gehört hatten, waren jetzt zum Bersten voll mit verwundeten Soldaten in Betten, auf Tragen, auf dem Fußboden.
    Zum Schlafen war keine Zeit. Die Chirurgen operierten sechsunddreißig Stunden an einem Stück; in den frühen Stunden des folgenden Morgens fand Schwester Maxwell Dr. Mackenzie zusammengerollt im Bett mit einem Toten. Im Verlauf der Tage, während die Schlacht unvermindert weitertobte, verlor Robin alles Zeitgefühl. Wenn sie auf ihre Uhr sah, konnte sie nicht sagen, ob es nun fünf Uhr nachmittags oder fünf Uhr morgens war. Wenn sie zum Fenster trat und den Vorhang zur Seite zog, war sie beinahe überrascht zu sehen, daß immer noch

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