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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Vorstellung, daß sie trotz allem die Vergangenheit abschütteln könnte, war berauschend.
    Am Bahnhof in der Liverpool Street kaufte sie sich eine Times und suchte sich einen Fensterplatz in der ersten Klasse. Dort schlug sie die Zeitung auf und sah die Fotografie. Ein zerbombtes Dorf in Spanien, zertrümmerte, ausgebrannte Häuser in einer trostlosen Landschaft.
    Maias Euphorie verpuffte. »Ach, Hugh«, flüsterte sie, todtraurig bei dem Gedanken, daß er solche Dinge miterleben mußte.
    Im Schlaf sah Robin die Gesichter der Männer, die sie während des Tages versorgt hatte. Männer, die in ihren Armen gestorben waren, Männer, die schreiend vor Schmerzen oder nach ihren Müttern weinend gestorben waren. Schweißüberströmt, mit hämmerndem Herzen erwachte sie dann und hockte schlaflos, die Knie zum Kinn hochgezogen, im frühen Morgenlicht. »Mensch, hör auf, Summerhayes«, schimpfte Juliet Hawley im Nachbarbett, und dann wußte sie, daß sie laut geschrien hatte. Während sie dort saß, konnte sie auch bei Gedanken an glücklichere Tage keinen Trost finden. Die Vergangenheit, das waren Hugh und Joe, deren Schicksal jetzt mit diesem gemarterten Land verbunden war, und Helen und Maia. Von Helen hatte sie sich längst weit entfernt, und für Maia empfand sie nichts als bitteren Abscheu.
    Erste Nachricht von Hugh erhielt Robin von einem englischen Soldaten, der mit einer Kopfverletzung ins Lazarett gebracht wurde. Philip Bretton war zweiundzwanzig und hatte in Cambridge studiert. Seine Augen waren beide verbunden, und es war Robins Aufgabe, ihn zu füttern. Als sie einen einzigen kleinen Tropfen Suppe auf die Bettdecke spritzte, brüllte Schwester Maxwell ohne Rücksicht auf die anderen fünfzig Patienten im Saal: »Summerhayes!«, und Philip sagte: »In meiner Einheit war einer, der auch so hieß.«
    Robin, die gerade den Löffel zu Philips Mund führen wollte, hielt inne.
    »Ein feiner Kerl. Älter als die meisten von uns – er war Lehrer, glaube ich.«
    Robin hatte Mühe, ruhig zu bleiben. »Hugh Summerhayes?«
    »Ja.« Der Teil von Philips Gesicht, der nicht verbunden war, war bleich trotz der Sonnenbräune. Seine Hand tastete suchend über die Decke nach Robin. »Kennen Sie ihn?«
    »Hugh ist mein Bruder.« Sie ergriff seine magere, gebräunte Hand, so sehr sich selbst wie ihm zum Trost.
    »Er war krank. Seit Albacete eigentlich schon. Er sagte, es wäre nur eine Erkältung, aber es war was Schlimmeres.«
    Robin sagte: »Sie sollten jetzt lieber essen, Philip« und hielt ihm einen Löffel mit Suppe an die Lippen. In dem Moment war sie froh, daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte.
    Aber er konnte nicht viel essen. Nach einigen Löffeln schüttelte er den Kopf und wandte sich ab. Sie glaubte, er sei eingeschlafen, aber dann sagte er: »Hugh hat sich um einen jungen Burschen in unserer Einheit gekümmert. Deshalb wollte er nicht ins Lazarett. Er wollte ihn nicht im Stich lassen. Den Namen des Jungen weiß ich nicht mehr …« Philips Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
    »Eddie Fletcher?«
    »Richtig. Eddie ist am Jarama verwundet worden – ein Schuß in die Schulter. Hugh ist mit ihm losgezogen, um einen Arzt zu suchen. Ich glaube, das war so vor zwei Wochen, aber genau weiß ich es nicht mehr.«
    Sie strich ihm sachte über die Wange. »Sie sind müde, Philip. Schlafen Sie ein bißchen. Der Arzt gibt Ihnen gleich was gegen die Schmerzen.«
    Anfangs hoffte sie. Sie flickte das, was Philip Bretton ihr erzählt hatte, mit dem zusammen, was sie aus anderen Quellen erfuhr. Hughs Einheit hatte zu einem der ersten Bataillone gehört, die an die Front am Jarama geschickt worden waren. Die meisten aus seinem Bataillon waren tot oder gefangengenommen worden. Sie hörte, daß das Gebiet, auf dem Hugh gekämpft hatte, einen Spitznamen hatte: Selbstmordhügel.
    Jede Minute Pause nutzte sie, um die Namenslisten durchzugehen oder die Leute in der Verwaltung zu drängen, bei anderen Krankenhäusern für sie nachzufragen. Doch sie kam nicht weiter. Sie fand keine Spur, weder von Hugh noch von Eddie Fletcher. Ein Gefühl schwarzer Hoffnungslosigkeit begann sie zu beschleichen. Und mit jedem Tag, an dem sie die grauenhaften Verletzungen der Männer sah, die am Jarama gekämpft hatten, wuchs ihr Entsetzen darüber, daß ihr sanftmütiger Bruder das alles hatte miterleben müssen. Sie konnte nicht essen, sie konnte nicht schlafen. Wenn sie an Hugh dachte, krampfte sich ihr der Magen zusammen, daß ihr übel wurde. Als die

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