Das Winterhaus
Tage vergingen und sie noch immer nichts von Hugh gehört hatte, wurde ihr klar, daß er tot war. Er war nicht stark genug, um dieses Gemetzel überlebt zu haben. Aber nicht logische Überlegung gab ihr die Gewißheit seines Todes. Sie hätte es keinem erklären können; man hätte ihr Bewußtsein einer jäh aufgerissenen Lücke in ihrem Leben Aberglauben zugeschrieben oder ihrer Erschöpfung. Nachts im Bett weinte sie um Hugh, leise, um die anderen nicht zu stören. Sie erhielt einen Brief von Daisy, die um Nachricht bat, aber sie beantwortete ihn nicht.
Als sie schließlich die amtliche Mitteilung von Hughs Tod erhielt, wurde ihr in ihrem Schmerz ein wenig leichter, als sie erfuhr, daß er nicht im Kampf gefallen war. Er war an Lungenentzündung gestorben, ein sanfterer Tod.
Einige Tage später, als sie an ihrem ersten freien Nachmittag seit Monaten mit Juliet Hawley durch den Park hinter der Villa spazierte, sah sie, daß die Bäume Knospen getrieben hatten und die Blumenzwiebeln ihre ersten grünen Halme durch die Erde stießen. Juliet hatte eine Thermosflasche und eine Decke dabei. Unter Bäumen setzten sie sich ins Gras und tranken den scheußlichen Kaffee. »Widerlich«, sagte Juliet mit einer Grimasse. Sie sah auf ihre Uhr. »Hey, wir müssen uns beeilen, sonst kriegen wir's mit der Maxwell zu tun.«
Schnellen Schritts gingen sie zum Lazarett zurück. Juliet erzählte Robin von ihrem Freund, der eine Automobilwerkstatt in Bicester hatte. Robin hörte nur mit halbem Ohr zu. Als sie das Lazarett erreichten, sah sie den Mann auf der Terrasse. Die Unterarme auf die steinerne Balustrade gestützt, stand er da und sah ihnen entgegen. Eingedrückte Mütze, Khakijacke, genau wie all die anderen Soldaten. Und doch – sie kannte sein zerzaustes schwarzes Haar, seine großen dunklen Augen, seinen gebräunten, schlanken Körper. »Joe!« schrie sie laut und rannte die Treppe hinauf. Er drehte sich um, breitete die Arme aus und drückte sie an sich, als wollte er sie nie wieder loslassen.
Als er sie schließlich freigab, musterte sie angstvoll sein Gesicht, seine Hände, seine Arme, berührte ihn, um sich zu überzeugen, daß Joe, anders als all die anderen jungen Männer, heil und unversehrt war. Er war voller Schrammen, er war schmutzig, und sein Gesicht war eingefallen, aber das war alles. Nichts Schlimmeres. Und doch wußte sie, als sie ihn betrachtete, daß auch er sich verändert hatte. Er habe nur zwei Stunden Zeit, erklärte er. Offiziell habe er keine Erlaubnis, hierherzukommen, aber an der Front sei es im Moment ruhig. Er hatte durch einen Soldaten in seiner Einheit, der hier im Lazarett behandelt worden war, erfahren, daß Robin in Spanien war.
»Warum bist du hergekommen, Robin? Warum?«
»Hughs wegen«, antwortete sie. In ihren Augen brannten ungeweinte Tränen, als sie den Namen ihres Bruders aussprach.
»Hughs wegen?«
»Hugh war zu den Internationalen Brigaden gegangen. Maia hatte die Verlobung gelöst, weißt du. Ich bin nach Spanien gekommen, weil ich ihn suchen wollte, um ihn zu überreden, wieder nach Hause zu kommen.«
»Und …?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er wollte nicht, Joe. Ich hab's versucht, aber er war nicht zu bewegen. So war er, weißt du.« Nun begann sie doch zu weinen. »Er hätte für jeden getan, was er konnte – er war der beste Mensch auf der Welt, glaube ich –, aber wenn er von etwas wirklich überzeugt war, dann konnte man ihn nicht umstimmen.«
Sie sah, wie Joes Gesicht sich veränderte, als er begriff, was sie ihm da sagte.
»Hugh ist tot?«
Robin nickte. »Er ist an Lungenentzündung gestorben, glauben sie. Vor ein paar Wochen. Amerikaner vom Abraham-Lincoln-Bataillon haben ihn in einer Schäferhütte in den Bergen gefunden.« Sie wischte sich die Augen mit dem Ärmel. »Sie haben ihn dort oben begraben. Und sie haben mir seine Sachen gebracht.«
Einige Briefe, eine Fotografie und ein Blatt Papier. Was Hugh auf das Papier geschrieben hatte, hatte sie nicht entziffern können. Sie zog die Fotografie, die sie immer bei sich trug, aus ihrer Tasche und zeigte sie Joe. Die Tränen tropften von ihrer Nasenspitze auf ihre gestärkte weiße Schürze. Wenn sie an Maia dachte, erschrak sie über die Glut ihres Hasses.
Von Joes Armen gehalten, ihren Kopf an seiner Brust, sah Robin zu, wie die blasse Märzsonne über die von Flechten überzogene Balustrade strich, und zog Joe fest an sich, als könnte sie ihn mit ihrem Körper beschützen, als könnte nur sie ihn
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