Das Winterhaus
verstaubter Bücher und Monumente an die Toten. Plötzlich wollte sie nur noch weg von hier. Sie nahm ihre Sachen und ging zurück zum Pfarrhaus. Auch hier war niemand. Helen schloß sich in ihr Zimmer ein und weinte um Hugh.
Im Jarama-Tal war es zu einem Patt zwischen den beiden Heeren gekommen, nachdem es den Nationalisten nicht gelungen war, die republikanischen Linien weiter als sechzehn Kilometer zurückzudrängen. Madrid war fürs erste sicher. Triumph und Erleichterung der republikanischen Soldaten wurden gedämpft durch Erschöpfung und Entsetzen über die ungeheuren Verluste, die sie erlitten hatten. Mehr als vierzigtausend Männer waren in den drei Wochen erbitterter Kämpfe ums Leben gekommen, unter ihnen beinahe die Hälfte der sechshundert Angehörigen des britischen Bataillons und mehr als ein Viertel des amerikanischen Abraham-Lincoln-Bataillons.
Im März siegte die republikanische Armee bei Guadalajara, knapp fünfzig Kilometer nordöstlich von Madrid. Das Garibaldi-Bataillon der Internationalen Brigaden, aus Italienern bestehend, die vor Mussolinis Regime geflohen waren, half bei der Abwehr des Angriffs regulärer italienischer Truppen, die auf seiten der Nationalisten kämpften.
Ende April dann verbreitete sich die Nachricht vom Schicksal Guernicas. Guernica war ein Städtchen im Baskenland in Nordspanien. Am 26. April, am Markttag, bombardierte die deutsche Legion Condor den Ort. Das Zentrum der Stadt wurde völlig zerstört, die Einwohner, die dem Inferno zu entfliehen suchten, wurden mit Maschinengewehren niedergemäht.
Obwohl die Zahl der Verwundeten, die täglich ins Lazarett gebracht wurden, jetzt deutlich geringer war, riß die Arbeit nicht ab. Robin hatte in diesen Monaten im Lazarett viel gelernt: Ordentliches, rationelles Arbeiten war ihr zur zweiten Natur geworden. Selbst ihr Zimmer in der dem Krankenhaus benachbarten Villa war aufgeräumt, in ihren Schubladen und ihrem Schrank herrschte eine nie dagewesene Ordnung.
Sie dachte sehr viel an Hugh. Wenn sie die Patienten wusch und fütterte, wenn sie in den Krankensälen saubermachte und aufräumte, wenn sie ein paar wohltuende Augenblicke für sich hatte, dachte sie an Hugh. Es wäre vielleicht leichter gewesen, wenn es ein Begräbnis gegeben hätte, einen Leichnam, einen konkreten Anlaß der Trauer und nicht nur diese Leere, diesen Mangel. Ein großer Trost war es ihr, mit Philip Bretton zu sprechen, der mit Hugh in den Tagen vor seinem Tod zusammengewesen war. Man hatte die Kugel aus Philips Kopf entfernt; er hatte zwar sein Augenlicht nicht wiedergewonnen, aber er hatte die Operation überlebt und konnte nun in der warmen Frühlingssonne draußen auf der Terrasse liegen.
Sie hatte ihren Eltern Hughs Tod mitgeteilt. Sie hatte nicht die rechten Worte finden können, ihr Brief war ihr förmlich und kalt erschienen. Sie sprach mit niemandem außer Philip und einmal kurz mit Neil Mackenzie über Hugh. Ein Teil von ihr wütete in Ungläubigkeit und Empörung darüber, daß sie ihn auf diese Weise hatte verlieren, daß er ganz allein, weit entfernt von seiner Familie hatte sterben müssen, aber sie hielt diesen Teil fest verschlossen in sich. Hätte sie über Hugh gesprochen, so hätte ihr Schmerz sich Bahn gebrochen. Diesen Luxus wollte sie sich nicht erlauben. Es gab zuviel Arbeit.
Helen spülte gerade in der Küche das Geschirr, als sie das Klopfen an der Tür zum Vorraum hörte. Rasch trocknete sie ihre Hände und sah zum Fenster hinaus.
»Adam!«
Groß und kräftig stand er vor der Tür. Als Helen ihm winkte hereinzukommen, mußte er den Kopf einziehen, um nicht an die niedrige Decke des Vorraums zu stoßen.
»Ich hab Ihnen doch gesagt, daß ich diesmal nicht so lang wegbleiben würde. Die hab ich für Sie gepflückt, Helen.«
»Ach, sind die schön, Adam.« Sie steckte ihre Nase in die Veilchen und atmete ihren Duft ein. »Setzen Sie sich. Ich mache uns Tee. Nein – nicht hier –«, sie warf einen Blick auf den alten Küchentisch, »– kommen Sie mit ins Wohnzimmer.«
Helen nahm das beste Porzellan aus der Vitrine – zarte kleine, durchscheinende Tassen mit Goldrand – und legte ein Spitzendeckchen auf das Tablett. Im Wohnzimmer schenkte sie Tee ein und bot Kuchen an, während Adam berichtete. Sie mußte lachen, als er ihr von den seltsamen kleinen Geschäften erzählte, für die er gearbeitet hatte, und von seinen reichen, exzentrischen Kunden. Als er ihr die Orte beschrieb, die er gesehen hatte, die großen Städte und
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