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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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um. Ich möchte, daß Sie mit mir nach England zurückkommen.«
    »Ich kann nicht. Die Leute hier brauchen mich.«
    »Und zu Hause braucht man Sie auch. Ihre Eltern brauchen Sie, Robin. Ihre Freunde.« Er wollte ihre Hand nehmen, aber sie zog sie weg. Sie wollte keine Berührung. »Sie haben eine Zukunft«, sagte er ruhig und fest, »auch wenn Sie das im Moment vielleicht nicht glauben. Sie müssen nach Hause gehen und Ihr Leben wiederaufnehmen. Sie müssen Ihre Eltern trösten, und Sie müssen den Studienplatz wahrnehmen, den Sie sich erkämpft haben. Sie haben Ihr Teil getan, Robin. Das ist das letztemal, daß ich Ihnen sage, was Sie zu tun haben, ich verspreche es. Kommen Sie mit mir nach Hause.« Sie blieb sitzen, nachdem er gegangen war, und sah die Sonne untergehen. Sie sah den grünglitzernden Teich im Fluß hinter der Blackmere Farm, und sie roch den bitter-salzigen Geruch von Springkraut und Kresse. Sie konnte die tiefe Sehnsucht, die plötzlich in ihr aufwallte, nicht verstehen, das erste wahre Gefühl seit Joes Tod. Sie starrte zu den Bergen hinaus, aber sie dachte an zu Hause.
    Helen stand auf dem Bahnsteig. Dr. Schneider hatte ihr Geld geliehen und ihr erklärt, wie man einen Fahrplan las. Jetzt wartete sie, in der einen Hand ihren Koffer, in der anderen wie einen Talisman das Kästchen von Adam, auf den Zug nach London.
    In Dampfwolken gehüllt fuhr er in den Bahnhof ein. Helen stieg ein. Sie hatte Angst und Nervosität von sich erwartet, statt dessen war sie nur aufgeregt und voll gespannter Erwartung. Sie war noch nie in London gewesen, und die Vorstellung, daß sie nun all die großartigen Dinge zu sehen bekommen würde, von denen sie bisher nur gelesen hatte, war köstlich.
    Sie hatte sich erst am vergangenen Abend entschlossen, das Krankenhaus zu verlassen. Wenn man ein leeres Blatt Papier war, mußte man irgendwann damit beginnen, es zu füllen. Sie wollte es mit vielen Dingen füllen. Mit Menschen und Orten und all den Dingen, die sie nie getan hatte. Sie wollte in die Oper gehen und sich ein Fußballspiel ansehen. Sie wollte zum Urlaub ans Meer und zum Wandern in Schottlands Berge. Sie wollte im Kaufhaus mit der Rolltreppe fahren; sich Dauerwellen machen lassen; ganz allein einen Sonnenuntergang sehen und den Tagesanbruch in den Armen des Mannes erleben, den sie liebte. Und Kinder wollte sie haben, ihre eigenen Kinder: Aber das hatte noch eine Weile Zeit. Es gab so vieles andere, was sie vorher noch tun wollte.
    Der Zug setzte sich in Bewegung, und Helen sah zu, wie auf die Dörfer kleine Landstädtchen folgten und auf die Landstädtchen die Vororte Londons. Einen Namen, dachte sie, mußte sie ganz groß auf ihr leeres Blatt schreiben. Sie stellte sich vor, wie sie in goldener Schrift mit wunderschönen runden Schnörkeln und Verzierungen den Namen Adam schrieb.

19
     
    Während ihrer Abwesenheit war die Veranda des Winterhauses eingestürzt. Das gebrochene Geländer hing schief, das Holz war ausgebleicht wie Bein. Robin stieg durch das Gewirr von Nesseln und Brombeergestrüpp hinter dem Winterhaus und kratzte mit dem Fingernagel an einem verrottenden Brett. Das morsche, krümelige Holz zerfiel und rieselte in einem feinen Strahl braunen Puders zu Boden.
    Der Teich war nur noch eine feuchte Mulde voll ausgedörrten Tangs, in deren Mitte, an der tiefsten Stelle, eine kleine dunkle Wasserlache glänzte. Mücken schwärmten über dem Wasser, und Aale wanden sich in seinen trüben Tiefen. Es roch nach Verfall und Fäulnis. Robin stieg die schmale Treppe hinauf. Die Bretter, die über den ausgetrockneten Teich ins Leere hinausragten, waren an den Enden hell von der Sonne.
    Efeu überwucherte wieder die Wände der Hütte und verschloß Fenster und Tür. Als sie ihn wegriß, blieben haarfeine Ranken am Holz haften. Sie stieß die Tür auf und sah durch das Dach zackige Fetzen blauen Himmels. Zerbrochene Fliesen lagen auf dem Boden, und auf dem Ofen war ein Vogelnest. Sie dachte an den Tag, an dem sie nach Blackmere gekommen waren. Hugh hatte neben ihr im Winterhaus gestanden, und sie hatte gesagt, ich möchte es gern für mich haben, Hugh. Im Sommer werden wir ein Boot haben. Wir werden bis in die Unendlichkeit segeln. Sie stand reglos und lauschte dem schrecklichen Schluckgeräusch ihres Atems. Das war das schlimmste, dachte sie. Daß sie nie vorher wußte, wann es sie überfallen würde.
    Mit dem Handrücken wischte sie die Tränen weg, als sie Daisys Schritte auf der Veranda hörte. Sie war trotz

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