Das Winterhaus
unwichtig, daß sie immer mehr in Rage geriet. Mr. Twentyman, sagte sie sich, war eitel, Mr. Underwood unintelligent. Folglich mußte sie sich Liam Kavanagh vorknöpfen, der keines von beiden war. Mr. Kavanagh war klug, fleißig und attraktiv. Die meisten Verkäuferinnen waren in ihn verliebt, und die, die es nicht waren, hatten Angst vor ihm. Ein Lächeln von ihm genügte, und Miss Dawkins, eine gottesfürchtige Kirchgängerin Ende Fünfzig, brach in mädchenhaftes Gekicher aus. Die Männer respektierten Liam Kavanaghs unzweifelhafte Tüchtigkeit und fürchteten seine scharfe Zunge und seinen kalten Zorn.
Maia wartete einen späten Freitagabend ab, und als die Angestellten alle nach Hause gegangen waren, bat sie Liam Kavanagh in ihr Büro.
»Eine Zigarette, Mr. Kavanagh?« Sie sah den Spott in seinen Augen, als sie ihm die Dose hinhielt.
»Mit Vergnügen, Mrs. Merchant.«
»Nehmen Sie doch Platz.« Im Büro standen zwei bequeme Ledersessel. Maia saß in dem einen. »Ich weiß eigentlich gar nichts über Sie, Mr. Kavanagh. Sind Sie verheiratet?«
Seine Lippen kräuselten sich leicht. »Nein, Mrs. Merchant.«
»Und warum nicht?«
Er sah sie scharf an. »Das ist doch wohl meine Sache, meinen Sie nicht?«
Sie zuckte die Achseln. »Mir liegt das Wohlbefinden aller meiner Angestellten am Herzen.«
»Ach, wirklich? Nun dann … ich habe nie geheiratet, weil ich nie die Zeit dazu hatte.«
»Sie gehen also ganz in Ihrer Arbeit auf.«
»Ich bin fast vierzig, Mrs. Merchant, und ich habe fast fünfundzwanzig Jahre gebraucht, um die Stellung zu erreichen, die ich heute innehabe. Ich habe zwar nicht geheiratet, aber für einen Straßenjungen aus den Slums von Dublin habe ich mich, denke ich, recht wacker geschlagen.«
Er sah sie herausfordernd an. Sie sagte ruhig: »Wogegen ich ein verwöhntes kleines Mädchen bin, dem das Leben alles geschenkt hat?«
Er sah weg. »Das habe ich nicht gesagt.«
»Oh … ich glaube, das sagen Sie schon die ganze Zeit. Aber natürlich nur im stillen.«
Sein hellhäutiges Gesicht rötete sich ein wenig, aber er schwieg.
»Ich erzähle Ihnen gern ein wenig über mich selbst«, fuhr Maia fort. »Ich bin in einem hübschen Haus in Cambridge aufgewachsen und habe eine Privatschule besucht. Der berühmte silberne Löffel, ja. Aber meine Eltern haben vom Tag meiner Geburt an ständig miteinander gestritten und die meiste Zeit gar nicht bemerkt, ob ich da war oder nicht. Mein Vater verlor sein gesamtes Vermögen und starb, als ich achtzehn war. Ich war sechs Monate lang mit Vernon verheiratet, wie Sie wissen, und wurde Witwe, ehe ich einundzwanzig Jahre alt war. Es wird Ihnen vielleicht schwerfallen, das zu glauben, aber ich konnte mich mein ganzes Leben nie auf jemand anderen verlassen als mich selbst.«
Außer auf meine Freundinnen, dachte Maia. Doch die Ereignisse des letzten Jahres hatten einen kleinen Keil zwischen sie und Robin getrieben. Und oft, wenn sie sich selbst mit Helen verglich, fand sie sich zynisch und abgebrüht.
Liam Kavanagh sagte: »Das ist gewiß alles sehr rührend, Mrs. Merchant, aber es ändert nichts an der Tatsache, daß Sie glauben, hier einfach in ein Geschäft einsteigen zu können, das von Grund auf zu lernen ich zwanzig Jahre gebraucht habe.«
»Ich lerne schnell.«
»Und Sie sind –«, begann er und brach ab.
Maia hätte beinahe gelächelt. »Und ich bin eine Frau?«
»Ja.« Sein Blick begegnete dem ihren mit trotzigem Widerstand. »Wir hatten vielleicht gegen unterschiedliche Vorurteile zu kämpfen, aber der Kampf ist der gleiche, finden Sie nicht? Ich hätte gedacht, daß ein Junge aus den Slums, der sich den Weg nach oben erkämpft hat, für mein Dilemma ein gewisses Verständnis aufbringen würde.«
Ein zorniges Aufblitzen in seinen Augen, das rasch unterdrückt wurde.
»Offensichtlich«, fügte Maia ruhig hinzu, »habe ich mich geirrt. Und da an der Tatsache, daß ich die Eigentümerin des Kaufhauses Merchant bin, nicht zu rütteln ist, versuchen Sie, mir auf andere Weise das Wasser abzugraben.«
»Ich weiß überhaupt nicht, was Sie meinen.«
»Aber, Mr. Kavanagh. Wir sind doch beide nicht dumm. Im Gegenteil, ich glaube, daß wir eine Menge gemeinsam haben.«
Er musterte sie mit einem Blick, der langsam von ihrem dunklen glänzenden Haar bis zu ihren zierlichen hochhackigen Pumps wanderte. Zum erstenmal fühlte sie sich unsicher.
»Glauben Sie, Mrs. Merchant?« fragte er anzüglich.
Maia spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. »Glauben Sie
Weitere Kostenlose Bücher