Das Winterhaus
einem Haus, das ihr vertraut war. Als sie die Tür des Navigators öffnete und eintrat, schlug ihr der Lärm hart und erschreckend entgegen. Der Schankraum war voller Menschen: Männer mit Schirmmützen starrten sie an, pfiffen ihr hinterher, wollten ihr ein Bier spendieren. Sie konnte nicht eine einzige Frau sehen. Blind stieß sie sich durch das Gewühl schwitzender Körper, bis sie am Tresen war, und wartete dort geduldig, bis Joe sie bemerkte.
»Robin?«
»Ich suche Francis.«
»Der mußte sich mit irgend jemandem wegen eines Artikel für Kaos treffen. Er hat gesagt, er würde wahrscheinlich ein, zwei Tage wegbleiben.«
Ihre Beine zitterten, wäre sie nicht rundum von Menschen eingepfercht gewesen, sie wäre zu Boden gestürzt. Verschwommen nahm sie wahr, daß Joe eine Brandyflasche und ein Glas ergriff und unter dem Tresen hindurchtauchte. Er legte seinen Arm um sie und führte sie zu einem Tisch auf der Seite.
»Hier. Trink erst mal.«
Der Brandy war scheußlich, billig und scharf, und ihre Zähne schlugen klappernd an den Rand des Glases.
Sie hörte Joe sagen: »Robin, was ist los? Was ist passiert?« Stockend erzählte sie ihm von Lily.
»Mein Gott, das arme Kind.«
»Sie war erst drei, Joe! So ein süßes kleines Ding –« Sie rieb sich die nassen Augen. »Ich fühle mich so nutzlos …«
»Du bist nicht nutzlos. Denk doch an deine Arbeit – denk an alles, was du getan hast –«
Sie unterbrach ihn heftig: »Ich tue überhaupt nichts, Joe. Keiner von uns tut etwas. Wir gehen zu Versammlungen, und wir unterzeichnen Petitionen, und wir verfassen Streitschriften, aber wir tun doch überhaupt nichts!«
In seinen dunklen Augen sah sie die bittere, kalte Wahrheit gespiegelt. Dann sagte er: »Du hast beinahe recht, Robin. Francis und ich leben beide wirklich nutzlos in den Tag hinein. Wir reden immer nur.« Joe schüttelte seinen Kopf und kramte seine Zigaretten aus seiner Tasche. »Irgendwie kann ich einfach nichts finden, wofür es sich zu kämpfen lohnt, und Francis hat zwar große Ziele, aber ich bezweifle, daß er irgendwo lange genug durchhalten wird, um was zu erreichen.« Er zündete zwei Zigaretten an und gab eine davon Robin. »Aber du tust doch etwas. Du unternimmst etwas, damit die Leute endlich aufmerksam werden.«
Sie versuchte es ihm zu erklären. »Es ist meine Schuld, verstehst du. Ich hatte die Lewis seit Wochen nicht mehr besucht. Ich mußte ja dauernd zu irgendwelchen Festen rennen.« Ihre Stimme war hart.
Er musterte sie, während er an seiner Zigarette zog. »Dann kommt es wohl darauf an –«, begann er und brach ab.
»Worauf, Joe?«
»Es kommt darauf an, ob du Francis willst.«
Sie brauchte sich diese Frage nicht mehr zu stellen. So genau hatte sie sich selbst im Lauf des vergangenen Jahres kennengelernt; ihre Gefühle lagen offen, für jeden sichtbar. Sie wußte jetzt, daß sie niemals jemanden so sehr begehrt hatte, wie sie Francis begehrte.
»Aha. Keine Frage.« Der Ausdruck in Joes Augen war nicht zu deuten. »Dann mußt du mit ihm durchs Leben tingeln, Robin. Etwas anderes interessiert ihn einfach nicht.«
7
Das Mädchen half Maia in ihr Abendkleid: Satin, schräg geschnitten, weich ihren vollkommenen Körper umspielend. Maia betrachtete sich im Spiegel, während sie den kühlen, geschmeidigen Stoff über ihren Hüften glättete. Das Kleid war kobaltblau, einen Ton dunkler als das Blau ihrer Augen. Sie hatte ihr Haar wachsen lassen und im Nacken zu einem klassischen Knoten gedreht.
»Ja«, sagte Maia befriedigt und entließ das Mädchen.
Es war fast sieben Uhr. Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel ging Maia nach unten in den Salon.
»Charles«, sagte sie und gestattete ihm, ihre Wange zu küssen. Charles Maddox war bei der Werbeagentur, die die Firma Merchant betreute. Maia hatte nichts dagegen gehabt, daß aus der geschäftlichen Beziehung zu ihm rasch eine freundschaftliche geworden war. Sie wußte, daß sie zu der männlichen Domäne der Klubs und Pubs niemals Zugang finden würde und darum alle Anstrengungen unternehmen mußte, um sich einen Platz in der Gesellschaft zu sichern, denn bei den Gesellschaften und Diners, zu denen sie als Witwe nicht eingeladen wurde, wurden die Geschäfte gemacht und die Kontakte geknüpft. Sie brauchte einen Begleiter, und Charles Maddox war ein Begleiter, mit dem man sich sehen lassen konnte und der sie bewunderte.
Dank Charles war sie zu dieser Cocktailparty eingeladen worden –– ihrer ersten seit
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