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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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rannte zu ihm.
    »Tut mir leid – ich war ein Ekel.« Francis reichte ihr die Blumen, ein weiß-rosa Gewoge aus Lilien und Stephanotis. »Tanger war gräßlich. So verdammt heiß, und diese Kobra, Denzil Farr, war die ganze Zeit da. Ich hab mir irgendeine fürchterliche Magengeschichte geholt und die meiste Zeit eigentlich nur gekotzt.«
    Er sagte: »Verzeihst du mir?« und nahm sie so fest in die Arme, daß er die Blumen zerdrückte und ihr schwerer Duft die schmutzige Londoner Luft erfüllte.
    Am Wochenende fuhr er mit ihr nach Long Ferry. Sie verbrachten zwei Tage allein in dem alten Haus, liebten sich, ernährten sich von Dosensardinen und Pfirsichen, die sie unter Sternen auf der Dachgalerie aßen.
    Danach wurde ihr Leben wieder so, wie es vor seiner Abreise gewesen war. Sie war jeden Abend aus und meistens auch an den Wochenenden. Die Wohnung in Hackney war ständig voller Menschen; wenn sie morgens aufstand, um die Milch hereinzuholen, mußte sie über schnarchende Leute im Wohnzimmer steigen. Einmal stieß sie mitten in der Nacht in der Küche auf einen einsamen Dichter, der in den Schränken nach etwas zu essen suchte. Die ältere Miss Turner begann mißbilligend zu murren, und Robin mußte immer unwahrscheinlichere Entschuldigungen erfinden, um ihre Abwesenheiten zu erklären.
    Mitte Dezember gingen sie zu einer Fotografie-Ausstellung. Joe ging rastlos umher und betrachtete mit brennendem Blick die dunklen, körnigen Bilder. Francis sagte: »Vor Jahren hat Joe mich in den Schulferien bei eisiger Kälte ins Moor rausgeschleppt, um Steine zu fotografieren.«
    Joe, der die Bemerkung mitgehört hatte, sagte: »Felsen, Francis, es waren Felsen. Du kennst doch diese Aufnahmen, Robin. Stimmungsvolle Bilder von schilfbewachsenen Teichen und kahlen Bergeshöhen. Ich sah meine Sachen schon in irgendeiner schicken kleinen Galerie in Hampstead hängen.« Er lachte, aber Robin sah die Leidenschaft in seinen dunklen Augen.
    Eines frühen Morgens stand sie neben Francis auf der Waterloo-Brücke und sah zu, wie die Sonne aufging. Der Nebel über der Themse färbte sich rosig in den schwachen Strahlen der Wintersonne. Als sie eine Postkarte von Hugh erhielt, in der er fragte, ob sie eigentlich noch am Leben sei, fiel ihr ein, daß sie wochenlang nicht nach Hause geschrieben hatte. In aller Eile kritzelte sie einen lügnerischen Brief und steckte ihn sofort in den nächsten Briefkasten.
    Als sie eines Nachmittags im Zusammenhang mit ihrer Arbeit unterwegs war, bemerkte sie, daß sie nur wenige Straßen vom Haus der Familie Lewis entfernt war. Es schneite mit Unterbrechungen, Straßen und Rinnsteine waren grau und matschig von einer Mischung aus Schmutz und Schnee.
    Einige gut gezielte Schneebälle trafen sie, als sie sich der Walnut Street näherte. Sie winkte Eddie und Larry zu, die draußen spielten, und suchte in ihren Manteltaschen nach Süßigkeiten.
    »Ma geht's schlecht.« Eddie schob die Lakritze, die Robin ihm gab, gleich in den Mund. »Sie hat ein Baby gekriegt, aber es war noch nicht fertig.«
    Larry nickte mit großen Augen. Robin stieß die Haustür auf.
    Mrs. Lewis lag auf dem Bett im vorderen Zimmer. Ihr Gesicht war nur Haut und Knochen, und ihre Augen waren von tiefvioletten Schatten umgeben.
    Robin kniete neben dem Bett nieder. »Sie hätten mich holen lassen sollen …«
    »Ich hatte nur eine Fehlgeburt.« Die Stimme der Frau war schwach und hoffnungslos. »Aber dieses Mal war es schlimm … schlimmer als bei den anderen. Miss Summerhayes –« Mrs. Lewis richtete sich mühsam auf. Robin half ihr, die grauen, klumpigen Kissen aufzuschütteln. »Würden Sie mal nach Lily sehen? Ich glaube, sie hat Krupp. Sie hat beim Mittagessen überhaupt nichts gegessen.«
    Sie machte Mrs. Lewis eine Tasse Tee, dann ging sie nach oben, in das Zimmer, in dem die Mädchen schliefen. Die dreijährige Lily und Rose, der Säugling, teilten sich ein Bett. Das Baby schlief tief, doch als Robin Lilys heißes rotes Gesicht und den angeschwollenen Hals sah, bekam sie einen Schrecken. Der Atem des kleinen Mädchens war röchelnd und unregelmäßig. Sehr vorsichtig hob Robin das Kind aus dem Bett, öffnete seinen Mund und sah in den Hals.
    Ein dicker weißer, membranartiger Belag bedeckte die Mandeln und die Rachenschleimhaut des Kindes und verstopfte beinahe die Luftröhre. Im ersten Moment war Robin wie gelähmt, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Dann riß sie eine Decke vom Bett, packte das kleine Mädchen fest ein und

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