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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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geschafft.
    Francis reiste mit ihr eine Woche nach Wales, wo sie sich über die Lebensverhältnisse der Grubenarbeiter in den Städten des Rhondda Valley informieren wollte. Es tröstete sie, ihn an ihrer Seite zu wissen, als sie durch die stillen, schmutzigen Straßen ging. Wieder in London, schrieb Francis, während Robin in einer langen Nacht den Durchschnittsgehalt von Protein und Kohlehydraten der täglichen Ernährung eines arbeitslosen Grubenarbeiters zu berechnen versuchte, einen zornigen und leidenschaftlichen Artikel, in dem er schilderte, was er gesehen hatte. Theo Harcourt, der die neue Ausgabe des Kaos in aller Eile durchsah, äußerte laue Anerkennung. Francis wurde zu noch mehr Festen und zu noch mehr Abendessen eingeladen. Noch mehr Freunde versammelten sich in der Souterrainwohnung in Hackney; Robin kam selten vor den frühen Morgenstunden ins Bett.
    Als im Oktober die nationale Koalitionsregierung, die vor allem von den Konservativen getragen wurde, an die Macht kam, reiste Francis, empört und ernüchtert, mit Angus zu Vivien nach Tanger. Ohne Francis erschien Robin London kalt, grau und öde. Am folgenden Abend nahm sie von der Liverpool Street aus den Zug nach Ely. In der Eisenbahn schlief sie und schlief auch, nachdem Hugh sie am Bahnhof abgeholt hatte, im Wagen wieder ein. Blackmere Farm erhob sich wie eine Luftspiegelung aus den sumpfigen Feldern, doch dieses Mal wehte nicht wie sonst, wenn sie nach Hause kam, Öde sie an, sondern sie verspürte eine Art Erleichterung. Nachdem sie ihre Eltern begrüßt hatte, verschlang sie gewaltige Mengen von dem Essen, das Daisy gekocht hatte, ging zu Bett und schlief durch bis zum nächsten Morgen um zehn. Als sie mit ihrem Vater über ihre Arbeit sprach, sah sie zu ihrer Überraschung Stolz in seinen Augen, wie sie ihn seit ihrer Weigerung, nach Girton zu gehen, nicht mehr gesehen hatte.
    Bei ihrer Rückkehr nach London eine Woche später stellte sie fest, daß sie mit ihrer Arbeit weit hinterher war. Stapel von Notizen – manche davon auf alte Briefumschläge oder Einkaufslisten gekritzelt – häuften sich auf dem kleinen Tisch in ihrem Schlafzimmer. Robin schloß sich in ihren vier Wänden ein, kam nur zum Essen heraus und hatte bis zum Ende des Monats ihre Notizen wohlgeordnet und sauber mit Maschine geschrieben zu Papier gebracht. Sehr zufrieden mit sich, kämmte sie ihr Haar und suchte nach ihrem Lippenstift. Gerade als sie ihn unter ihrem Bett entdeckt hatte, klopfte es.
    Robin öffnete. Die jüngere Miss Turner flüsterte: »Mr. Gifford ist hier, Robin.«
    Die Damen Turner vergötterten Francis. Robins Herz tat einen Sprung, und sie rannte nach unten. Francis, die Haut gebräunt, das Haar ausgebleicht von der Sonne Afrikas, erwartete sie im Salon. Sie warf sich in seine Arme und drückte ihn an sich. Der Tag, bis zu diesem Moment bloß alltäglich, war herrlich geworden.
    »Wie war es in Tanger?«
    »Heiß. Seit ich wieder hier bin, muß ich drei Pullis tragen. Angus hatte Hitzepickel, und das Essen war grauenvoll.« Francis wirkte ruhelos, zappelig.
    »Wirf dich in Schale, Darling, dann führ ich dich aus.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht.«
    »Ach, bitte, Darling. Du hast mir so gefehlt.«
    »Du hast mir auch gefehlt, Francis, aber ich muß heute abend zu einer Versammlung.«
    »Diese langweiligen Pazifisten? Mensch, Rob – das kannst du doch mal auslassen. Diese alten Suffragetten und Märtyrer mit Bärten.«
    Die beiläufige Geringschätzung, mit der er über ein Anliegen sprach, das ihr so wichtig war, ärgerte sie. »Ich bin im Ausschuß, Francis. Ich muß den Redner einführen. Ich kann wirklich nicht fehlen.«
    Er starrte sie einen Moment lang an, dann sagte er: »Wie du meinst«, machte auf dem Absatz kehrt und ging.
    Sie wollte ihm nachlaufen, aber sie tat es nicht. Den Rest des Tages und die beiden nächsten Tage brachte sie damit zu, abwechselnd ihren eigenen Stolz zu verwünschen und sich vorzuhalten, daß schließlich Francis im Unrecht gewesen sei. Nach drei Tagen hatte sie, überzeugt, ihn verloren zu haben, alle ihre Fingernägel abgekaut und schnauzte jeden an, der sie ansprach. Immer wieder ließ sie vor sich die letzte Szene ablaufen, bis ihr der Kopf brummte. Sie war verständnislos gewesen oder eher uneinsichtig, nie wußte sie, was nun eigentlich zutraf. Aber dann sah sie ihn eines Abends, als sie zur Pension zurückkam, auf der Mauer vor dem Haus sitzen, halb versteckt hinter einem Riesenblumenstrauß. Sie

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