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Das Winterkind

Das Winterkind

Titel: Das Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Rohn
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mein Knie spürte, empfand ich plötzlich eine Heiterkeit wie schon seit langem nicht mehr. Ein kurzes Gefühl des Glücks streifte mich. Vielleicht weil ich eine Verrücktheit beging, weil ich spürte, wie die Anstrengung meinen Körper ganz in Anspruch nahm, weil Denken und Handeln für ein paar Momente ein und dasselbe waren.
    Ich sah das Licht auf den vereisten Wiesen, sah ein paar Vögel, die von Baum zu Baum schwebten und mich begleiteten, als ahnten sie, welche Fracht ich da hinter mir herzog, sah ein Flugzeug, das ganz weit oben den kalten Himmel zerschnitt.
    Manchmal, wenn mir ein besonders gutes Geschäft gelungen war, hatte ich mich so lebendig gefühlt. Oder wenn Ochs, mein Chauffeur, ein Abendessen für mich arrangierthatte. Ochs kannte eine Menge junger Frauen, die sich selbst Gesellschaftsdamen nannten und die fur ein stilvolles Dinner mit Champagner und Kerzenlicht empfänglich waren. Ich hatte Ira oft betrogen, aber auch wenn es kein Geheimnis für sie war, nichts, was ich vor ihr verheimlichen konnte, hatte es ihr nie etwas ausgemacht. Ihre Gleichgültigkeit hatte mich am meisten geschmerzt. Im Innersten getroffen hatte sie nur der Tod unseres Sohnes, und eigentlich hatte ich mir nie die Frage beantworten können, warum sie bei mir geblieben war.
    Mein kurzes Glück verging, als ich auf die Hauptstraße einbog. Zwei Autos fuhren an mir vorbei, ein weißer Kombi und ein schwarzer, glänzender Mercedes. Den Fahrer konnte ich nur als flüchtigen Schatten wahrnehmen, aber wenn es der junge Borger gewesen war, hatte er mich gleichfalls nicht erkannt. Kein Wunder, der Ludwig Graf, den er gekannt hatte, würde nicht wie ein Scherenschleifer mit einem Holzkarren eine Dorfstraße entlangwandern.
    Zwei dick vermummte Bäuerinnen, die in ihrer Hofeinfahrt standen, schauten mir nach; eine hob die Hand zum Gruß. Wen sollte ich nach einem Tierarzt fragen? Die rothaarige Pastorin könnte mir möglicherweise weiterhelfen, doch dann, während ich den Fischreiher leise krächzen hörte und beruhigt feststellte, dass er doch noch am Leben war, kam mir ein ganz anderer Gedanke. Aus dem leeren blauen Himmel fiel er herab, so wie einem manchmal Dinge in den Sinn kommen, die man lange nicht mehr gedacht hatte. Ich rechnete ein paar Lebensdaten durch. Vor zehn Jahren war mein Vater gestorben. We alt mochte der Sohn der Pastorin sein? Elf Jahre, hatte Hedda gesagt, wenn ich mich nicht irrte. War es möglich, dass er deshalbden Schlüssel zum Haus gehabt hatte, weil er zu meinem Vater in einer ganz besonders engen Verbindung stand? Nein, eher würde am Heiligen Abend ein leibhaftiger Weihnachtsmann auftauchen, als dass sich eine schöne Frau wie die Pastorin mit einem fetten kranken Schokoladenfabrikanten eingelassen hätte. Kurz vor seinem Tod hatte es Gerüchte über meinen Vater gegeben. Irgendwo sollte ein unehelicher Sohn existieren. Ich hatte ihn nie gefragt, und das Testament hatte keinen Aufschluss darüber gegeben. Einen kleinen Teil seines Vermögens hatte er einem Altenheim und einer Kirchengemeinde vermacht. Für die Einzelheiten hatte ich mich nie interessiert.
    Ich lief in Richtung Kirche. Vor dem Supermarkt standen drei Leute zusammen und warfen mir argwöhnische Blicke zu. Ein Lieferwagen mit unserem Markenzeichen, dem kantigen JG, parkte vor dem Laden. Ich hätte beinahe gelacht. Vielleicht hätte mir der Fahrer ja einen Hinweis geben können, wo ich einen Tierarzt fand. Unschlüssig hielt ich auf die Kirche zu. Dunkel lag sie da, kein Licht brannte im Innern. Als ich schon kehrtmachen wollte, um von der Telefonzelle die Auskunft anzurufen, entdeckte ich, drei Häuser neben der Hotelpension, an einem gepflegten Fachwerkhaus, das mit Reet gedeckt war, ein weißes Emailleschild.
    Da mochte ein Rechtsanwalt oder der Dorfarzt logieren oder … Ich zog meinen Karren weiter. Lange konnte ich dem Vogel diese Tortur nicht mehr zumuten. Ich hatte Glück. Heinrich Melles, Tierarzt, las ich auf dem Schild.
    Das Haus war für Zwerge gebaut. Man musste den Kopf einziehen, wenn man eintrat, wollte man nicht einem groben Holzbalken gefährlich nahe kommen. Ich eilte durch einen gekachelten Flur auf einen leuchtend weißen Tresenzu. Eine schmale blonde Frau stand dahinter und schaute mich an. Linker Hand bemerkte ich einen älteren Mann, der mit seinem Hund, einem beigefarbenen Labrador, zu warten schien.
    »Wo ist der Tierarzt?«, fragte ich mit drängender Stimme.
    Die Frau deutete auf eine Tür rechts von mir. »Aber

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