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Das Winterkind

Das Winterkind

Titel: Das Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Rohn
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weiter über ihren Sohn zu reden.
    Ein roter Landrover bog von der Hauptstraße ab und rollte langsam auf uns zu. Ich entdeckte die Silhouette des Tierarztes am Steuer. Melles hatte es ziemlich eilig, den Fischreiher wieder loszuwerden.
    Hedda wurde noch unruhiger. Fast hatte es den Anschein, als wollte sie dem Tierarzt auf keinen Fall begegnen. Aber konnte eine Pastorin auf der Flucht vor ihren Gemeindemitgliedern sein? Sie stieß sich vom Zaun ab, hob ihre rechte Hand und streckte sie aus, als wollte sie mich berühren. »Wenn Sie mögen … Kommen Sie doch morgen Nachmittag bei mir vorbei. Ich könnte Ihnen ein paar interessante Dinge über das Dorf erzählen.«
    Noch bevor ich etwas entgegnen konnte, hatte sie sich umgedreht und lief den Weg zum See hinunter. Mit ihrer dunklen Kapuze sah sie wie ein schwarzer Mönch aus. Mir fiel auf, wie klein ihre Füße wirkten, wie die Füße eines Kindes. Einen kurzen Moment versuchte ich sie mir mit meinem fetten, vor Kurzatmigkeit schnaufenden Vater vorzustellen, aber es gelang mir nicht.
    Der Landrover blinkte auf und hielt vor dem Gartentor. Es ließ sich so weit öffnen, dass der Wagen bis auf das Grundstück fahren konnte. Melles rollte bis kurz vor meinenprovisorischen Käfig. Er öffnete die Tür, stieg aus und blickte der Pastorin nach.
    »Hat sie Ihrem Vogelkäfig den Segen erteilt?«, fragte er spöttisch. Weißer Atem flog vor ihm her, als wollte er seine Frage besonders betonen.
    Ich antwortete nicht. Die Pastorin schien im Dorf nicht nur Freunde zu haben.
    »Dann wollen wir Ihren neuen Freund mal bei Ihnen einquartieren.« Der Landrover hatte eine offene Ladefläche. Ein große Holzkiste stand da. Hinter ihr lag ein Bündel Stroh. Melles machte sich keine Mühe, eine gewisse Freude zu verbergen, dass er den Fischreiher bei mir abladen konnte. Er trug Jeans und einen schmutzigen grauen Parka. Seine Hände steckten in schwarzen Lederhandschuhen, aber die Ärmel von Pullover und Parka hatte er aufgekrempelt, als müsste er sich ständig seiner behaarten, stählernen Unterarme versichern. »Der rechte Flügel Ihres Freundes hat etwas abbekommen. Eine Kugel hat einen kleinen Knochen zerstrümmert. Kriegen Sie keinen Schreck, wenn wir ihn gleich ausladen. Ich habe den Flügel geschient. Sieht ein wenig so aus, als hätte ich dem armen Vogel Daumenschrauben angelegt.«
    Gemeinsam hievten wir den Holzkasten von der Ladefläche und trugen ihn zu dem Drahtverhau. Der Kasten war erstaunlich leicht für seine Größe. Nichts rührte sich in ihm. Melles zog eine Klappe hoch und wartete mit hochgezogenen Augenbrauen, fast als würde er einen gefährlichen Löwen in die Freiheit entlassen. Dann, als nichts geschah, lief er zu seinem Wagen, holte das Bündel Stroh und warf es in den Käfig. Er schaute mich an.
    »Der Reiher wartet ab«, sagte er. »Außerdem kann er sich mit dem geschienten Flügel nicht gut bewegen, undvielleicht verwirren ihn auch die Gerüche. In der Kiste habe ich in der letzten Woche ein verletztes Reh transportiert.«
    Ich ging langsam um den Drahtverhau herum. Wie war ich nur auf die Idee gekommen, mir die Verantwortung für so einen Vogel aufzubürden? Ich wurde zornig. Zehn Tage hatte ich mir noch gegeben, in denen ich etwas anderes tun wollte, als mich um einen verletzten Fischreiher zu kümmern. Melles stand wieder an seinem Wagen. Er beugte sich vor und kramte im Fußraum seines Rovers. Nehmen Sie Ihren komischen Vogel und verschwinden Sie, wollte ich ihm zurufen. Lächelnd richtete er sich wieder auf und hielt einen prächtigen Fisch in die Höhe. »Ich habe unserem Freund einen hübschen Leckerbissen mitgebracht. Das wird ihn aus der Kiste locken.«
    Mit einer kreisenden Bewegung, als würde er ein Lasso schwingen, schleuderte er den Fisch in den Käfig. Für einen Moment, während er flog, sah es aus, als lebte der Fisch noch, als schnappte er nach Luft, weil Luft sein Element war, dann schlug er mit einem dumpfen Geräusch auf der gefrorenen Wiese auf.
    »Muss ich jetzt jeden Tag angeln gehen, damit der Reiher nicht verhungert?« Ich ließ die Kiste nicht aus den Augen. Der Reiher blickte mich an, doch noch hatte er sich nicht gerührt.
    »Kaufen Sie morgen im Supermarkt ein paar Fische und tauen Sie sie auf. Fischreiher fressen eine Menge Fisch, so ein halbes Kilo am Tag. Sie können auch Mäuse oder junge Kaninchen verfüttern. Oder Schlangen. Fischreiher lieben Schlangen.« Melles klopfte mehrmals auf die Holzkiste. »Aber ich bin sicher,

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