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Das Winterkind

Das Winterkind

Titel: Das Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Rohn
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eingegraben hatten. Dieser eine lange Moment im Krankenhaus, während ein paar Tränen ganz langsam in meine Augen krochen, war mein toter Punkt gewesen, doch ich hatte nicht darauf geachtet. Ich hatte alles beiseite geschoben und weitergemacht, als hätte dieser Tod keine Bedeutung für mich. Wahrscheinlich hatte Ira damals begonnen, mich zu verachten. Nun hatte diese Verachtung sie dazu gebracht, bis nach Gomera vor mir zu fliehen.
    Ich dachte an die rothaarige Pastorin. Heute, nahm ich mir vor, würde ich ihr Geheimnis ergründen und sie nach ihrem Jungen fragen.
    Licht rührte sich. Er bewegte sich in die andere Ecke des Geheges, und fast sah es aus, als wollte er seine Flügel ausbreiten und sich auf den kalten Wind legen, um sich davontreiben zu lassen. Ich ging wieder hinaus, suchte den Garten mit der Taschenlampe nach der Katze ab, ohne sie zu entdecken.
    Ich musste noch ein paar Stunden Wache halten, bis eshell wurde. Der Tag begann wolkenverhangen, mit dem schweren Geruch von Schnee. Ich stellte Licht neues Wasser bereit, warf ihm ein paar Brotbrocken in den Käfig und machte mich auf den Weg ins Dorf. Ich ging am See entlang. Unweigerlich suchte ich den Himmel ab, als könnte mein Fischreiher doch noch irgendwo auftauchen. Lediglich ein paar Enten flatterten umher. Grau und träge lag der See da, wie ein riesiger, beschlagener Spiegel. Aus dem Schilf schien das Eis vorzudringen. Wenn diese Temperaturen in den nächsten Tagen so anhielten, würde man bald auf den See hinauslaufen können.
    Ich sah, dass das Boot, mit dem die Pastorin hinausgerudert war, noch genauso am Steg lag, wie wir es vorgestern verlassen hatten. Sie würde sich beeilen müssen, um es vor dem Eis zu retten. Fast fühlte ich mich schon für das Boot verantwortlich und dachte daran, es auf den Steg zu ziehen, aber wahrscheinlich hätte ich es nicht allein geschafft und mich nur lächerlich gemacht.
    Niemand war am Deich zu sehen, doch als ich den Weg ins Dorf einschlug, sah ich weit entfernt am Ufer eine Gestalt, die Steine auflas und auf den See hinauswarf. Das Eis war noch so dünn, dass die Steine es durchbrachen. Ohne sie genau erkennen zu können, ahnte ich, wer die Gestalt war. Auch der Junge hatte mich entdeckt. Er musste Adleraugen oder eine besondere Witterung für mich haben. Kaum hatte ich ein paar Momente in seine Richtung geblickt, lief er davon.
    Im Supermarkt ließ ich mir von der rotwangigen Verkäuferin sämtliche Fische einpacken, die sie in ihrer Kühltruhe am Lager hatte. Ich war mir sicher, dass Licht mit größtem Vergnügen Barsche, Seelachse und Forellen fressen würde, aber auch Aale und Makrelen? Die Verkäuferinlächelte wissend. Die Nachricht, dass ich gewissermaßen über Nacht der Herr eines Fischreihers geworden war, hatte sich längst herumgesprochen. Außer Brot und Fisch kaufte ich noch ein paar Vorräte fur mich und widerstand dann der Versuchung, auch eine Zeitung mitzunehmen. Neuigkeiten über die Fabrik, darüber, was der junge Borger alles angestellt hatte, um einen Käufer zu finden, hätten meiner Laune nicht besonders gut getan.
    Auf dem Rückweg begann ich mir ernsthafte Sorgen zu machen. Hoffentlich war Licht nichts passiert. Katzen schlichen auch am Tag umher, und wenn der Schütze herausbekommen hatte, was mit dem Reiher passiert war, wäre es für ihn ein Leichtes, Licht im Käfig zu erschießen.
    Schwer bepackt hastete ich zurück. Doch meine Sorge war unbegründet. Licht stand in seinem Käfig, schlug vorsichtshalber nur mit dem linken, unversehrten Flügel und krächzte mir entgegen, als wäre er hungrig und würde den Fisch in meiner Tasche riechen. Wie ein gewissenhafter Tierpfleger machte ich mich an die Arbeit, warf einen stattlichen Barsch ins kochende Wasser, um ihn aufzutauen, und säuberte mit einer Harke Lichts Käfig. Dann frühstückten wir gemeinsam. Für eine Weile würde ich der Kälte trotzen. Ich stellte einen Stuhl neben den Käfig, um Kaffee zu trinken und aufgewärmtes Brot zu essen, während Licht gierig seinen Fisch verschlang.
    Ich hätte dem Reiher gerne ein paar Fragen gestellt. Wie war es, wenn man sich in die Lüfte erhob und den Wind unter seinen Flügeln spürte? Was sah ein Vogel, wenn er aus einer Wolke auf das Land unter sich blickte, und wie musste es sein, wenn man aus der Höhe, aus dem Sonnenlicht herabschoss und in eiskaltes Wasser eintauchte? Manchmal ruckte der Kopf des Vogels vor, und er mustertemich, als versuchte er etwas in meinem Gesicht zu

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