Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
Mund zu einer grimmigen Linie zusammengepresst, dachte sie nach. »Wir müssen es ohne weiteren Probelauf schaffen, Kim. Wenn er Alex hat, will er uns damit erpressen. Wir müssen …« Sie brach ab, als ihr die Ungeheuerlichkeit ihres Vorhabens bewusst wurde.
Kim zog sich in fliegender Hast ihre Jacke an. Ihr Gesicht war verzerrt, und sie hielt nur mühsam die Tränen zurück. Eine Welt ohne Alex konnte sie sich nicht vorstellen. Die gab es einfach nicht. Die durfte es nicht geben.
Vor Jennas innerem Auge tauchte die hagere Gestalt im dunklen Mantel auf, die schmalen Lippen zu einem Lächeln verzogen. Er betrachtete die Flammen, die um ihn herum loderten, als wären sie ein Teil von ihm. Nichts außer gierigem Prasseln und Knacken war zu hören, dann hörte sie jemanden schreien. In Todesangst.
Jenna keuchte auf. »Wir nehmen mein Auto«, bestimmte sie. »Los, los!« Sie rannte aus der Küche, schnappte sich ihren Mantel, griff im Eingang nach dem Schlüsselbund und war in Sekunden die Treppe hinuntergestürmt.
Sie hatte die Botschaft verstanden.
Alex Winters stand an einem Betonpfeiler und hatte die Augen geschlossen. Er war geknebelt, seine Arme waren nach hinten gezogen und die Handgelenke mit Kabelbindern fixiert. Um ihn herum schichtete Matthew Reisig auf.
Der Jäger lehnte ein paar Meter entfernt an einer Mauer. Er spürte, wie die Hüterin näher kam. Immer näher. So vorher sehbar … Jetzt stieg der Hass in ihm hoch, breitete sich in seinem Körper aus, schwarz und ölig pulsierte er durch seine Adern. Nur die Hüterin war schuld daran, dass er unter grausamen Schmerzen gestorben war und Jahrhunderte hatte warten müssen. Diesmal würde er seine Aufgabe erfüllen, und er würde sich mit einem Feuer belohnen. Ein kleines, aber für den Anfang würde es reichen. Er konnte sich an Nächte erinnern, an denen man die Verbrannten nicht mehr zählen konnte. Andererseits, wen interessierte es schon, wie viele es waren? Schuldig waren sie letztendlich alle gewesen, jeder auf seine Weise.
Er sah sich um. Der abnehmende Mond schien durch Wolkenfetzen auf seine neu gewählte Richtstätte, ein halb verfallener, verlassener Bahnhof an einem Gleis, das nicht mehr genutzt wurde, hatte ihm der Junge erklärt. Die Station befand sich auf einer kleinen Anhöhe, die ihn an die Richtplätze vergangener Zeiten erinnerte. Die noch stehenden Mauern, innen voller bunter Bilder und obszöner Sprüche, deren Sinn sich ihm nicht erschloss. Nachts käme hier kaum jemand vorbei. Aber die Menschen, die in den umstehenden Hochhäusern wohnten, würden die Flammen sehen. Das war dem Jäger nur recht. Denn die Feuerspur, die er zu hinterlassen gedachte, würde heute und hier beginnen.
Matthew legte die letzten Zweige auf den Haufen und begann, einen zweiten vorzubereiten. Der Arzt öffnete jetzt die Augen, drehte wild den Kopf hin und her und gab gurgelnde Laute von sich, doch der Jüngere schaute ihn nicht an. Er konnte getrost darauf verzichten, die Wut über seinen Verrat in Winters’ Augen zu lesen. Diese Nacht bot für ihn die letzte Chance, und er würde sie wahrnehmen, koste es, was es wolle.
Sie parkten am Straßenrand, schlugen leise die Türen zu.
»Wir müssen noch ein paar Schritte laufen.« Jenna wies an einer Hochhausreihe vorbei auf einen Radweg und marschierte los.
»Hier?«, wunderte sich Nicholas und sah sich misstrauisch um. »Das ist doch die Borstei … Bist du sicher? Da vorne kommt doch nur noch der Mittlere Ring.«
»Ganz sicher, ich spüre es ganz deutlich«, bestätigte Jenna und klang zuversichtlicher, als sie sich fühlte. Sie wartete, bis Kim zu ihr aufschloss, und nahm sie an der Hand.
Kim hielt ihren Mondstein fest umklammert, ihre Zähne schlugen aufeinander. Die dunklen Locken fielen ihr in die Stirn, sie hatte sich einen schwarzen Wollschal um den Hals geschlungen, und ihr Gesicht schwebte weiß, fast geisterhaft darüber. Sie bemühte sich, nicht an Alex zu denken. Sich nicht vorzustellen, was mit ihm sein könnte. Gwen hatte sie ermahnt, sie brauche jedes bisschen Kraft. Aber es war verdammt schwer.
Nach kurzer Zeit sahen sie unterhalb ihres Weges die Gleise, zwischen denen im Sommer das Gras hoch wuchs, da kaum mehr ein Zug darüber fuhr. Immer wieder peitschten Windböen die noch kahlen Äste der Bäume hin und her, als wären es Hände, die nach ihnen griffen.
Plötzlich blieb Jenna stehen. »Hast du Angst?«, fragte sie leise.
Kim nickte. Sie zitterte vor Kälte. Der Horror, den
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