Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
geschleudert, der den Weg von der Häuserreihe trennte. Jenna und Lagardère kamen gleichzeitig bei ihm an. Nicholas rappelte sich mit einem unmissverständlichen englischen Fluch auf, dann sagte er scharf: »Tu das nie wieder, verstanden?«
Lagardère hielt Kim an den Schultern fest, schüttelte leicht den Kopf.
»Ich habe es noch nicht so ganz unter Kontrolle«, sagte Kim betroffen. Lagardère konnte förmlich sehen, wie sie sich zusammenriss. Für ein paar Sekunden blickte sie zurück, sah weiße Rauchfetzen in der Luft schweben und dachte plötzlich an ihr letztes Abendessen mit Alex. Was waren ihre letzten Worte an ihn gewesen? Seine Worte? Sie wusste es nicht mehr. Die Tränen schossen Kim in die Augen, als sie erkannte, dass dieser Moment für immer verloren war. Sie wischte sich mit der Handfläche übers Gesicht und schauderte, als sie merkte, dass immer noch Matthews Blut daranklebte.
Mit hölzernen Bewegungen stieg sie ins Auto, lehnte ihre Stirn an die kühle Scheibe. Carolin hatte gesagt: »Wenn ich gehe, bleibt dir nur noch die Angst.« Doch Carolin hatte unrecht gehabt. Die Angst war irgendwann gewichen, aber das Gefühl der Trauer blieb. Kims Augen füllten sich erneut mit Tränen, und diesmal ließ sie sie über die Wangen rinnen. Sie weinte lautlos, als hätte sie nach dem Inferno keinen einzigen Ton mehr in sich.
Diesmal war es kein Nebel, keine graue Welt der Stille. Diesmal waren es rotgoldene glühende Flammen und die Qualen von Tausenden gemarterten Seelen.
Sie ließ ihn fühlen, was sie empfunden hatte, als er sie den Flammen überantwortet hatte. Die Hitze auf der Haut, die Blasen warf und aufplatzte, der Rauch, der das Atmen zur Qual machte, die Gewissheit, endgültig verloren zu sein. Jonathan von Keysern schrie die Schmerzen laut hinaus. Doch in diesem Fegefeuer hörte ihn niemand.
Viele, viele Tage später ließ sie die Flammen erlöschen. Sie würde dafür sorgen, dass er nie wieder in die Welt der Lebenden zurückkehrte.
Es schien, als hätte die rechte Hand des Todes ein zweites Mal versagt.
Epilog
Epilog
Mittwoch, 15. Februar
Die Morgendämmerung stahl sich mit vorsichtigen Fingern in den Raum. Es war noch still draußen, dünne Schneeflocken wirbelten vom Himmel und erinnerten die Menschen daran, dass der Winter noch nicht vorbei war. Jenna öffnete die Augen und verzog das Gesicht, als sie das feuchte Kissen unter ihrer Wange spürte. Irgendwann in der Nacht waren die Tränen gekommen und hatten nicht mehr aufgehört zu fließen. Sie war erschöpft und fror trotz der dicken Bettdecke bis auf die Knochen. Seit Tagen klagte sie eine Stimme in ihrem Hinterkopf an, dass sie ganz allein schuld war an all dem Tod, der über sie hereingebrochen war. Alex … Anne … Carolin Gruber … Annes Eltern … die Menschen in der Londoner Klinik … wie viele noch, von denen sie nichts wusste?
Innerhalb von zwei Wochen waren ihr zwei der wichtigsten Menschen in ihrem Leben genommen worden, und sie marterte sich, weil sie allein die Zeichen zu spät erkannt hatte, sie im entscheidenden Moment nicht gehandelt hatte, ihr jedes Mal schlecht geworden war, anstatt dass sie sich in Lara Croft verwandelt hatte. Jenna schluckte. Ihr Blick fiel auf das Foto auf ihrem Nachttisch. Alex und Kim lachten sie an. Das war noch vor einem halben Jahr gewesen. Jetzt konnte sie das Bild nicht betrachten, ohne die lodernde Fackel vor sich zu sehen, in der Alex verschwunden war.
»Wir haben doch alles richtig gemacht«, hatte Kim geschrien. Vielleicht hatten sie das, gemessen an den Umständen. Aber es war nicht genug gewesen. Und damit musste sie jetzt leben. Jenna schniefte und wischte sich mit dem Zipfel der Bettdecke über die Augen. Dass sie den Jäger gebannt hatten, ließ sie freier atmen, aber der Preis war so hoch gewesen. Viel zu hoch. Vielleicht hätten sie gemeinsam fliehen sollen, vielleicht …
Vielleicht, vielleicht. Es war zu spät. Sie musste den Tatsachen ins Auge blicken. Sie musste Alex’ Klinik Bescheid geben. Was um Himmels willen sollte sie sagen? Und Kommissar Sandberg … Jenna würde ihm nicht ewig aus dem Weg gehen können. Aus seiner Sicht waren sie und Kim der gemeinsame Nenner bei seinen diversen Ermittlungen. Mit einem Stöhnen setzte sie sich auf und fuhr zusammen, als es vorsichtig an der Tür klopfte.
»Jenna?« Nicholas streckte den Kopf ins Zimmer und lächelte erleichtert, als er erkannte, dass sie wach war. Er setzte sich zu ihr und nahm sie in die Arme. »Es
Weitere Kostenlose Bücher