Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
unermesslich. Es war, als verschlinge sie eine schwarze Welle.
Tief drinnen wusste sie, dass sie zu spät gekommen war.
Warum, das konnte sie nicht einmal erahnen.
Eines war ihr jedoch klar: Diese erste Schlacht hatte sie verloren, bevor sie richtig begonnen hatte. Nichts würde jemals wieder so sein, wie es war.
Das Unerhörte war geschehen.
Die Angst um sich und vor allem die um Kim, fraß sich in ihre Eingeweide und schüttelte sie wie in einem Krampf, der kein Ende nehmen wollte.
Viele Tausend Kilometer weiter südlich, in der felsigen Wüste Gabuns, wachten drei Frauen an einem unscheinbaren Steinhügel. Nur wenige Eingeweihte wussten, was unter der kleinen Pyramide aus Felsbrocken verborgen lag.
Der heiße Wind frischte auf und trug feinen Sand vor sich her. Eine Eidechse huschte zwischen zwei Felsen im letzten Tageslicht hin und her und verschwand wieder. Es herrschte Stille, nur das Rauschen des Windes war zu hören.
Wie auf ein unhörbares Zeichen hoben alle drei Frauen den Kopf und blickten in den violetten Himmel, in dem im Osten die Nacht heraufstieg.
Über den Bergen hing ein blutroter Vollmond.
Sie nahmen sich bei den Händen, als würden sie auf diese Art Kraft sammeln für das, was nun kommen würde. Man hatte ihnen von dem Zeichen erzählt.
Das Zeichen, von dem alle gehofft hatten, es nie sehen zu müssen.
Nun war es an ihnen, den nächsten Schritt zu tun.
Einen Tag später war die Nachricht nach England unterwegs.
o
Die Nebel hatten sich für einen Moment gehoben, eine Lücke freigegeben, einen Übergang.
Doch nicht für ihn. Antoine Lagardère wurde in das graue Zwielicht zurückgezogen. Er war nicht schnell genug gewesen.
Er hatte Zorn verspürt, doch nun fühlte er, wie die Gleichgültigkeit wieder von ihm Besitz ergriff. Wie sie ihn lähmte und zu einem Schatten unter Schatten machte. Einem der zahllosen, die unablässig wisperten und raunten, als hätte es keine Unterbrechung gegeben.
Teil des Nebels zu werden, sich treiben zu lassen, war verlockend einfach. Es gab kein Gestern und kein Morgen, es gab kein Du oder Ich. Man wusste bald nicht mehr, wie man eigentlich geheißen hatte, wer man einmal gewesen war.
Warum man hier war.
Dennoch gab es einen Grund, weshalb Antoine Lagardère sich nicht völlig dem Vergessen überließ. Warum er verzweifelt versuchte, einen winzigen Rest seines Ichs zu bewahren.
Er hatte einmal ein Ziel gehabt, einen Lebensinhalt. Er durfte ihn nur nicht vergessen.
Denn die Zeit wurde knapp.
Die Jagd hatte begonnen.
Und es würde nur eine Möglichkeit für ihn geben.
o
Nur mit einem Handtuch um die Hüften betrat Nicholas das Hotelzimmer. Seine Frau saß, lediglich mit Trägertop und einem Shorty bekleidet, im Schneidersitz auf dem Kingsize-Bett und starrte nachdenklich auf den Bildschirm ihres Laptops. Seit ein paar Tagen waren Nicholas und Anne in London. Anne nahm an einem Kongress der International European Architects teil und verfolgte mehr oder weniger gebannt die Vorträge ihrer Kollegen über neue, energiesparende Bauweisen von Regie rungsgebäuden. Nicholas zog währenddessen durch die Antiquariate in Charing Cross und gab Geld aus. Wer sich dabei mehr amüsierte, war klar.
»Wie viel Zeit hast du noch?«, fragte Nicholas jetzt und grinste.
»Hmm …« Anne gab vor, auf die Uhr zu sehen. »Vielleicht noch zwanzig Minuten? Wofür?«, fragte sie scheinheilig.
»Das reicht«, entschied Nicholas, klappte energisch ihren Laptop zu und ließ gleichzeitig sein Handtuch zu Boden fallen. »Dafür.«
Anne lachte und ließ sich rücklings aufs Bett sinken. »Was man in zwanzig Minuten so alles anstellen kann«, murmelte sie und sah erwartungsvoll in Nicholas’ Gesicht.
Der zögerte nicht lange und begann seine Frau zu küssen, bis diese sich atemlos an ihn presste. Jetzt strich er mit den Händen über ihre Schultern, streichelte zart ihre Brüste. Er streifte ihr das Top ab, wanderte mit seinen Lippen an ihrem Körper entlang südwärts und hörte, wie Anne leise aufstöhnte. Nicholas lächelte. Er liebte seine Frau, und er liebte die Töne, die sie von sich gab, wenn sie sich in seinen Liebkosungen verlor.
Eine halbe Stunde später schreckte Anne aus einem wohligen Dämmerschlaf auf und sah auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand. »Meine Güte, ich komme zu spät. Nicholas – wieso hast du mich nicht geweckt?«
Dieser saß, bereits angezogen, am Tisch, den Laptop aufgeklappt, und grinste. Zettel und Stift lagen neben ihm, seine
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