Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
mit Ersatzpatronen.
Sie waren ein eingespieltes Team. Normalerweise erledigten sie ihre Aufträge ohne Zeugen.
Dass es diesmal Zuschauer geben sollte, das war neu.
Der Auftraggeber hatte gut dafür bezahlt.
Nicholas liebte London und freute sich jedes Mal, wenn er »seine« Viertel unsicher machen und alte Freundschaften wiederbeleben konnte. Er war in Kingston-upon-Thames, einer Kleinstadt südwestlich von London, aufgewachsen und in sei nem ersten Leben, wie er es scherzhaft nannte, in die Fußstapfen seines Vaters, einem höheren Beamten im britischen Außenministerium, getreten.
Er hatte Wirtschaftswissenschaften studiert, war danach in den Diplomatischen Dienst gegangen und rasch aufgestiegen. Im Gegensatz zu seinem alten Herrn, der von fremden Ländern träumte, aber am liebsten zu Hause blieb und sich in Bücher versenkte, zog es Nicholas in die Ferne. Fast acht Jahre lang, bis 1993, war er im Dienst des Britischen Diplomatenkorps in Nordafrika stationiert gewesen, zu Beginn in Casablanca, später in Algier, erst als Sekretär, dann als Militärattaché.
Sein zweites Leben hatte begonnen, als er eines Tages seine Eltern an Weihnachten besucht und auf der Rolltreppe bei Harrods eine junge Deutsche über den Haufen gerannt hatte. Beide waren gestolpert, hingefallen, und er hatte ihr schuldbewusst sämtliche Pakete aufgesammelt. Sie dankte ihm, sie sahen sich in die Augen – und in diesem Moment war es um ihn geschehen gewesen. Der Rest war unter Freunden Legende: Nicholas hatte ein halbes Jahr später den Dienst quittiert und war mit Anne nach München gezogen. Das britische Verteidigungsministerium hatte ihn allerdings nur unter einer Bedingung ziehen lassen: dass er bei sensiblen Fragen, Nordafrika betreffend, weiter zur Verfügung stand. Und davon hatte es in den letzten vierundzwanzig Monaten eine Menge gegeben. Eine neue Leidenschaft, abgesehen von der für seine Frau, sorgte dafür, dass es ihm nicht langweilig wurde: Die Jagd nach antiquarischen Büchern, dem gedruckten Gold, wie er es immer nannte. Dass er zehn Jahre später in einem Atemzug mit den bedeutendsten Sammlern Europas genannt wurde, erfüllte ihn mit Stolz und war ein würdiger Ersatz für das aufregende, gefährliche Leben unter der sengenden Sonne Afrikas.
Nicholas nahm einen Schluck Kaffee, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte gedankenverloren durch das große Fenster. Der Verkehrslärm war durch die Scheiben gedämpft, dafür war der Geräuschpegel im voll besetzen Café hoch. Gesprächsfetzen von den Nachbartischen, immer wieder überlagert von italienischer Musik, drangen an sein Ohr. Während er auf Anne wartete, ging er im Geiste die Liste seiner Lieblingsrestaurants durch. Heute verspürte er Lust auf ein mörderisch scharfes Curry. Die trockenen Kekse machten hungrig.
Unauffällig glitt der schwarze Geländewagen durch die Straßen der englischen Hauptstadt. Noch fünf Minuten, dann würden die beiden Männer ihr Ziel erreicht haben. Der Beifahrer griff hinter sich und nahm eine Sporttasche von der Rückbank. Er zog den Reißverschluss auf und nahm einen Schalldämpfer heraus. Der Mann schraubte ihn auf die Pistole, die er durchlud und entsicherte. Dann nickte er dem Fahrer zu.
Dieser wechselte die Spur und vergewisserte sich im Rückspiegel, dass ihnen niemand folgte. »Fünfzigtausend und so wenig Aufwand. Ich frage mich, warum die plötzlich so viel zahlen.«
Während der Winter den Kontinent immer noch fest in seinem eisigen Griff hatte, lag in England erwartungsgemäß kein Schnee. Es nieselte, ebenso erwartungsgemäß. Anne Wright, weithin erkennbar an einem roten Regenschirm mit dem Logo eines der Münchner Fußballvereine, lief zielstrebig die Charing Cross Road in Richtung Café Vergnano entlang. Nicholas erhob sich halb, tauchte hinter dem Bücherstapel auf und deutete begeistert auf den Kaffee. Anne winkte fröhlich zurück.
»Wir sind gleich da.«
»Geht klar.«
Als der schwarze Geländewagen langsam vorbeirollte, betrat Anne das Café.
Eine Welle von Lärm, warmer Luft und dem Duft von italie nischem Espresso schlug ihr entgegen. Draußen war der Regen stärker geworden, und Anne schüttelte sich. »Hallo mein Schatz«, sagte sie, gab ihm einen flüchtigen Kuss und lächelte, als sie den Bücherstapel sah. »Sieht so aus, als wärst du heute fündig geworden.« Sie legte ihre Handtasche daneben, ließ sich auf den Stuhl fallen und gab gleichzeitig dem Kellner einen Wink. »Einen doppelten
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