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Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)

Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)

Titel: Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Frei
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dass seine Nase fast das Bild berührte.
    Er hob die Hand. Ohne Vorwarnung flammte die Beleuchtung auf.
    Matthew trat instinktiv einen Schritt zurück und warf einen alarmierten Blick in den nächsten Raum. Doch alles blieb ruhig: Kein Wachmann war zu sehen, kein Alarm schrillte. Im Schein des Halogenspots über dem Bild verzog von Keysern verächtlich die Mundwinkel. »Angst?«, fragte er leise. Es klang höhnisch. »So sieht man besser …«
    Matthew Johnson schüttelte den Kopf und schluckte schwer. »Nur vorsichtig«, gab er etwas unsicher zurück.
    Der Jäger wandte sich wieder dem Gemälde vor ihm zu. »Ich habe Frauen wie dich brennen lassen, nicht wahr?«, flüsterte er leise, und der Hass in seiner Stimme war unüberhörbar. Er streckte langsam die Hand aus.
    »Nicht!«, entfuhr es Matthew, aber von Keysern winkte ab. Dann strich er mit zwei Fingern langsam über die Kehle der Frau, fühlte die Farbe unter seinen Fingerspitzen, als wäre sie lebendige, junge, samtene Haut. In diesem Moment hörte er die Feuer prasseln, vernahm wieder die gellenden Schreie der Unglücklichen, als sei es gestern gewesen. Er zog eine Grimasse, während seine Nägel über die Farbschichten kratzten.
    » Die Vergänglichkeit der Welt? Wenn das kein passender Name für dich ist …« Seine Stimme kam stoßweise, klang leicht heiser, und die süddeutsche Färbung war plötzlich deutlich zu hören.
    Matthew fuhr zurück. Die Finger fuhren noch immer über das Meisterwerk, ziellos, wirr. Die Narbe in von Keyserns Gesicht zuckte. Der Junge beobachtete ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination. Er hatte zwar seinen Teil dazu beigetragen, den Jäger in diese Welt zurückzuholen, doch erst nach und nach wurde ihm klar, wem er hier die Tür geöffnet hatte.
    Was er geholt hatte.
    »Wer sind Sie?«, stieß er hervor und versuchte, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. »Woher kommen Sie?«
    Der Jäger schien aus einer Trance zu erwachen und straffte sich. Dann wandte er sich um. »Ich habe sie alle erlöst, ihre Seelen im Feuer gereinigt«, wisperte er. Matthew bildete sich ein, plötzlich den Gestank von verbranntem Fleisch zu riechen, und begann zu würgen.
    »Nur einmal …«, murmelte von Keysern, »nur ein einziges Mal traf ich die falsche Entscheidung.« Das Bild einer schwarzhaarigen Frau mit grünen Augen tauchte aus seiner Erinnerung auf.
    »Wer hat Ihnen gesagt, wer brennen muss?« Matthew erkannte seine Stimme kaum und konnte es nicht fassen, dass er diese Frage wirklich gestellt hatte.
    Der Mann aus Augsburg trat gelassen einen Schritt zurück, und die Beleuchtung über dem Bild erlosch unvermittelt. Er ging weiter, ohne darauf zu achten, ob Matthew ihm folgte. Im Halbdunkel der Räume schienen ihnen die Blicke der Porträtierten hinterherzustarren.
    »Wer bestimmt, wer brennt?«, wiederholte er wie nebenbei. »Ja, wer?« Bei jedem Bild, das von Keysern näher betrachtete, ging das Licht an und wie von Geisterhand wieder aus.
    Als er vor dem Jüngsten großen Gericht von Rubens stehen blieb, sprach er weiter. »Wir waren es, wir wussten, was richtig oder falsch ist, wir waren das Gewissen des Abendlandes. Nur – was weiß die Welt noch von uns? Wo ist der Dank, die Anerkennung, wo sind die Auszeichnungen?« Dabei beugte sich von Keysern vor und betrachtete ein Detail des Meisterwerks.
    Matthew wusste nicht recht, was er sagen sollte. »Wie meinen Sie das?«, fragte er schließlich.
    Ein dünnes Lächeln umspielte von Keyserns Lippen, während er mit fast klinischem Interesse die geschundenen Gestalten am unteren Bildrand betrachtete. Sie schritten von Bild zu Bild, ließen Halogenstrahler aufleuchten und wieder verlö schen. Eine scheinbar endlose Serie von Meisterwerken wurde für Sekunden aus dem Dunkel gerissen, die Bilder erklärten dem Jäger auf ihre eigene Weise die Welt neu. Eines hatte er bereits verstanden: Es war eine Welt, die sich rasend schnell drehte – eine Welt, in der sich niemand mehr wirklich verstecken konnte.
    Nicht einmal sie …
    Das würde seine Aufgabe diesmal erheblich erleichtern.
    Als die beiden Männer am anderen Ende des Obergeschosses angekommen waren, blieb von Keysern vor einem weiteren Gemälde stehen.
    »Murillo. Trauben- und Melonenesser«, las Matthew halblaut von der kleinen Tafel neben dem Bild der zwei Knaben ab.
    Von Keysern zog die Augenbrauen hoch und blickte mit kaum verhüllter Gier auf das Bild. »Sie sehen so unschuldig aus, nicht wahr? Rein und weiß

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