Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
schließlich doch nach. »In Ordnung, aber nur eine Viertelstunde. Dann sind Sie hier für heute alle entlassen.«
Jenna sank neben Anne auf einen Stuhl und nahm vorsichtig eine ihrer Hände in ihre. »Oh, Ännchen«, flüsterte sie. »Es tut mir so leid. Komm wieder zurück zu uns, bitte.«
Von Annes Gesicht hatte man bei ihrer Einlieferung das geronnene Blut gewaschen. Jetzt lag sie bleich und bewegungslos in den Kissen, ein breiter weißer Verband wand sich um Stirn und Kopf. Das Piepsen der Kontrollgeräte erfüllte den Raum.
Jenna schluckte krampfhaft, streichelte immer wieder Annes Hand und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Haltlos strömten sie ihr über die Wangen. Kim stellte sich dicht hinter ihre Mutter, legte ihr die Hände auf die Schultern, und Jenna war unendlich froh über ihre Anwesenheit. Sie hatte Trost bitter nötig.
So verharrten sie minutenlang, schweigend, bis Jenna schließ lich in ihrer Tasche nach einem Taschentuch kramte und sich die Nase putzte. Die Tür öffnete sich, und die Krankenschwester tippte stumm mit dem Zeigefinger auf ihre Armbanduhr. Jenna nickte stumm und erhob sich. Sie wagte nicht, die Schwester nach Annes Chancen zu fragen. Zu groß war ihre Angst vor einer ehrlichen Antwort.
Zum Abschied küsste Jenna die bewusstlose Anne leicht auf die Stirn und winkte Nicholas auf den Gang hinaus. Kim war an der Türe des Krankenzimmers stehen geblieben und starrte wie gebannt auf den Monitor, der Annes Herzschlag anzeigte.
Jenna und Nicholas lehnten sich auf dem Korridor an die hellgrüne Wand.
»Oh, Nick«, flüsterte Jenna und wusste nicht, was sie weiter sagen sollte.
»Wir müssen einfach abwarten, sagen die Ärzte«, meinte Nicholas niedergeschlagen. »Aber gerade das Warten ist das Schlimmste.«
Jenna schloss die Augen und dachte nach. »Folgender Vorschlag«, begann sie dann langsam, »wir bringen Kim ins Hotel zurück, und sie kann meinetwegen englische Soaps anschauen und sich beim Zimmerservice was zu essen bestellen. Dann haben wir Zeit …« Sie stieß sich von der Wand ab und sah Nicholas in die Augen. »Wir beide, Nick, wir müssen dringend miteinander reden.«
»Wir könnten noch einen Spaziergang machen«, schlug Nicholas vor. »Es hat aufgehört zu regnen, und ein wenig frische Luft wird uns beiden nicht schaden. Was meinst du?«
Jenna nickte und steckte den Kopf durch die Tür. »Kommst du?«, rief sie Kim leise zu. Die riss sich von den blinkenden Monitoren los und folgte Jenna zum Aufzug, während Nicholas der Krankenschwester eine gute Nacht wünschte.
Kim hielt ihre Mutter am Ärmel zurück. »Warte mal, Mam. Wirst du ihm von …« Sie zögerte. »Von uns erzählen? Von den …«
»Geistererfahrungen?«, ergänzte Jenna trocken. »Ich weiß es noch nicht. Kommt drauf an.« Jenna sah ihre Tochter scharf an. »Und du rührst dich heute Abend nicht mehr vom Fleck, versprochen? Ich will mir keine Sorgen um dich machen müssen. Ist ohnehin alles schon schlimm genug. Und keine heimlichen Telefonate mit deinem Austauschschüler. Indianerehrenwort?«
»Versprochen, Mam.« Kim klang, als meinte sie es ernst. In diesem Moment klingelte ihr Handy. Kim griff in ihre Jackentasche, zog das Handy heraus, zog angesichts der unterdrückten Nummer eine Grimasse und meldete sich mit einem kurzen »Ja?«
Sie hörte einen Moment zu, dann sagte sie heftig: »Fahr zur Hölle!«, und legte auf.
Jenna sah sie gespannt an.
»Ich übe schon mal«, erklärte Kim und ihre Augen blitzten. »Matthew …«
»Gratuliere, gut gemacht. Und glaub mir, mit jedem Mal wird es leichter.«
Jenna glaubte zwar selbst nicht, was sie da sagte, aber sie hoffte inbrünstig, dass Kim ein weiteres Erlebnis mit Matthew erspart blieb. Am besten für den Rest ihres Lebens.
Die Frage war nur, wie lange der Rest ihres Lebens noch dauerte.
Matthew stand in der Friedenheimer Straße, schaute wütend zum vierten Stock hinauf und hatte große Lust, sein Handy an die Hauswand zu werfen. Was bildete sich Kim eigentlich ein? Er hatte ihr das Ganze so leicht wie möglich gemacht, sie war nicht zu Schaden gekommen, ihre Albträume waren verschwun den. Zugegeben, er hatte sie dazu gebracht, das Tor zu öffnen … Und er selbst war sich nicht mehr so sicher, dass er das Spiel auf Augenhöhe mit von Keysern spielen konnte. Er durfte nicht versagen, musste das tödliche Spiel bis zum Ende mitmachen, das war er seiner Familie schuldig. Es war seine Aufgabe, die Schuld zu begleichen. Auch wenn
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