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Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)

Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)

Titel: Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Frei
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starrte in den Abgrund unter ihren Füßen.
    »Ich bin Wissenschaftlerin«, sagte sie leise, aber bestimmt. »Ich habe stets nur an das geglaubt, was ich sehe. Und doch … Hier, unter dieser Sonne, unter diesem Himmel, kann ich die andere Seite, von der du sprichst, fast spüren.« Sie fröstelte. »Es ist grauenhaft. Ich habe sie gehört … die Schatten. Sie haben zu mir gesprochen.«
    Neela schaute sie besorgt an. »Du hast sie gehört?«
    Mary nickte langsam. »Ich denke, es war eine Warnung«, gab sie zögernd zurück und ignorierte die erschrockenen Blicke einiger Frauen aus der Gruppe. »Aber ich habe mich noch nie an Regeln gehalten. Noch weniger an Anweisungen von jemandem, den ich nicht mal kenne.« Das klang trotziger, als sie sich fühlte. Wenn sie in sich hineinhorchte, fühlte sie eine lähmende Angst in sich hochkriechen. Doch etwas hinderte sie daran aufzuspringen und sofort die Flucht zu ergreifen.
    Vielleicht war es das, diese Eigenschaft, die Lord Covington auch in ihr erkannt hatte? Mary drehte ihren Zopf zwischen den Händen, während sie versuchte, ihre wirren Gedanken zu ordnen.
    Neela ergriff ihre Hand. »Ruhe dich aus, Schwester. Heute Nacht, wenn du etwas geschlafen hast, werden wir dir mehr erzählen. Doch bedenke eins: Wenn du dich für uns entscheidest, wirst du deine Welt für lange Zeit nicht mehr betreten. Du wirst dein Leben, deine Ziele hinter dir lassen müssen. Wenn du bereit bist, werden wir dich mit Freuden aufnehmen. Ansonsten wird dich Sinya morgen wieder zu deiner Expedition zurückbringen. Hier ist kein Ort der Gefangenschaft, nur wir, die wir uns der Hüterin verschworen haben.«
    Mary ließ sich auf die Matte zurücksinken, bettete ihren Kopf auf den angewinkelten Arm und dachte nach. Was war ihr wichtig? Ihre Forschung, ihre Aufgaben in England? Zu wem konnte sie zurückkehren? Sie hatte niemanden, kein Mensch wartete auf sie, die alte Hilda und Kater Paul ausgenommen. Wer würde sie vermissen? Lord Covington, ja, der ganz sicher. Doch er würde wissen, warum sie verschwunden war. Die anderen Reisegefährten? Ihr Stellvertreter, der bigotte irische Reverend, der kaum wusste, wie herum man ein Mikroskop hielt? Kaum. Er würde sich ohne mit der Wimper zu zucken die Position des Expeditionsleiters unter den Nagel reißen, ihr Verschwinden unter »vorhersehbare Gefahren einer Expedition« abhaken und predigend weiterziehen.
    Der Hüterin verschworen? Neelas Worte klangen in Marys Ohren fast pathetisch. Bei allen Heiligen – in was war sie hier hineingeraten? Ein geheimer Zirkel mitten in der Wüste, Mittler zwischen den Menschen und einer Schattenwelt? Das hielt keine Sekunde wissenschaftlicher Betrachtung stand. Wenn nur Covington nicht so überzeugend gewesen wäre … Der alte Fuchs war einer der unbestechlichsten Männer, die Mary kannte. Sollte sie ihr Bündel packen und sich auf den Rückweg machen? Oder würde sie es bis an ihr Lebensende bereuen, nicht dageblieben zu sein?
    Oder war hier etwas ganz anderes am Werk? Eine jahrtausendealte Naturreligion in Verbindung mit – ja, womit? Einer Vision? Einer Gefahr? Oder hatten alle hier in der Hitze Afrikas den Verstand verloren? Sie blickte sich um. Eigentlich sah hier niemand wirklich verrückt aus. Keine grimmigen, fanatischen Blicke, keine brutale Entschlossenheit. Nein, eher das Gegenteil war der Fall. Wie hatte Neela gesagt? Sie waren Bewahrer, keine Kämpfer. Und dass sie gegen etwas kämpften, was größer war als sie alle.
    Mary musste lächeln. Sie hatte noch nie einer Herausforderung widerstehen können.
    Ihre Gefühle schienen sich in ihrem Gesicht zu spiegeln, denn Neela betrachtete sie aufmerksam, und als sie feststellte, dass Mary zu einem Entschluss gekommen war, breitete sich ein Lächeln auf ihren Zügen aus. »Willkommen in unserem Kreis, Schwester«, sagte sie und hielt Mary erneut den Wasserbeutel hin. »Heute Abend gibt es etwas Stärkeres.«
    Mary setzte sich mit letzter Kraft noch einmal auf, griff nach dem Beutel und lachte. »Das will ich hoffen«, sagte sie trocken. Dann fiel sie wieder zurück und ließ den Schlaf herein.
    Ende des Jahres 1895 verließ eine Gruppe Forscher den afrikanischen Kontinent.
    Nach einer strapaziösen Reise durch Berge und Urwälder hatten sie, zu Tode erschöpft, die kleine Hafenstadt Port Gentil glücklich erreicht. Sie waren mehr als einmal dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen, hatten im Herzen des Schwarzen Kontinents Unglaubliches und Neues entdeckt

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