Das Wispern der Angst: Thriller (German Edition)
diskutierte über Gesetze beim Schachspielen und ließ den Tag im Kreise Gleichgesinnter Revue passieren. Mit einem Wort – man betrieb in den englischen Clubs seit Anbeginn der zivilisierten Zeiten Networking …
Der Legende nach hatte ein James Porter vor etwa hundert Jahren wutentbrannt den ehrwürdigen Travellers Club in der Pall Mall verlassen, nachdem er von einigen adligen Mitgliedern aufgrund seiner bürgerlichen Herkunft beleidigt worden war. Um es ihnen heimzuzahlen, gründete er mit einem befreundeten Aristokraten den alternativen Porter’s Club und bezog pikanterweise gleich die Räumlichkeiten nebenan. Durch ganz London ging ein Aufschrei der Empörung. Inzwischen hatten sich die Wogen längst geglättet, und der Porter’s war ein fester Bestandteil des Londoner Upper-Class-Lebens. Allerdings ein wenig traditionalistischer als der Rest.
Eines der ältesten Mitglieder war die Familie Covington, und so war es nicht verwunderlich, dass auch George Covington VII ., inoffizieller Berater der britischen Krone, Alleinerbe und begnadeter Backgammon-Spieler, den Großteil seiner müßigen Tage im Porter’s verbrachte. Die Bezeichnung Stammgast traf es nicht ganz. Covington lebte im Club. Er nahm in der Regel mindestens zwei Mahlzeiten dort ein, wahlweise im großen Speisesaal oder in einem der kleineren Räume im ersten Stock, las Zeitungen und blieb meist für sich. George Covington war ein reicher Erbe, ein oftmals mürrischer Einzelgänger, und es gab keinen besseren Platz, an dem beides respektiert wurde als den Porter’s. Niemandem wäre es eingefallen, ihn darauf anzusprechen, dass er keiner geregelten Arbeit nachging, seine Zeit weder Frauen noch dem Wetten widmete, sondern einfach nur in den Tag hineinlebte. Die Diskretion in den Clubs war ebenso legendär wie ihre Mitgliederlisten, und der Porter’s war noch um einen Deut besser.
An diesem Freitagmittag saß George Covington mit einer Tasse Earl Grey und seinem iPad in der Hand in einem der bequemen Sessel im Foyer. Das kam einer Revolution gleich, und nur angesichts der Tatsache, dass die Covingtons sozusagen zu den Gründungsmitgliedern des Clubs gehörten, verkniff sich die Leitung einen Verweis. iPads? Neumodisches Zeug.
Doch Covington kümmerte das nicht. Im Ernstfall hätte er den Club gekauft und die Regeln geändert. Während ein großes Feuer im Kamin angenehme Wärme verbreitete und die Standuhr jede Viertelstunde ihren Westminster-Gong durch die fast verlassenen Räume schickte, vertiefte sich George in die elektronische Ausgabe der Times . Er war der einzige Gast in der Bar, und lediglich ein gedämpftes Murmeln war zu vernehmen. Chef Barkeeper Raffaele – der beste Mixer erlesener Cocktails zwischen London und Mailand, so sagte man zumindest – unterwies einen neuen Kollegen und sah dabei britischer aus als John Cleese in seinen besten Tagen.
Als die Tür aufging und ein Schwall kalter Luft in den Raum strömte, blickten Raffaele und George gleichermaßen irritiert hoch. Doch Covington lächelte, als er den Neuankömmling erkannte, und rief quer durch den Raum: »Nick Wright, old boy! Als du mich vorhin angerufen hast, dachte ich, du machst Witze! Seit wann zieht es dich in den Porter’s, nachdem du dich hier jahrelang nicht hast blicken lassen?«
Nicholas ging mit langen Schritten auf ihn zu, sah sich kurz um und hängte seine Jacke an einen Garderobenständer. Dann schüttelte er George die Hand.
»Wenn es um den Porter’s geht, dann mach ich keine Witze«, lächelte er. »Wobei ich nie gedacht hätte, dass du immer noch die gleiche Handynummer hast.«
»Auch ein Teil der britischen Tradition, nehme ich an«, grinste George und fuhr sich mit einer Hand durch die wirren dunkelbraunen Locken. »Hat manchmal seine Vorteile.«
Nicholas ließ sich in einen der tiefen Lederfauteuils sinken und sah sich um. »Du hast recht, es ist ewig her, seit ich das letzte Mal hier war. Lass mal überlegen, fünfzehn Jahre?« Er musterte George kritisch. »Eines hast du mit den ehrwürdigen Mauern hier gemein – du hast dich kaum verändert.«
George war groß und schlank, etwa Anfang vierzig, und seine braunen Augen blitzten, als er antwortete: »Das macht das ruhige Aristokratenleben. Wenn ich es meinen Vorfahren nachmache, dann werde ich hundert, und man sieht es mir nicht an.« Er winkte Raffaele herbei und sah Nicholas neugierig an. »Was möchtest du trinken? Tee? Gin? Champagner?«
»Tee«, entschied Nicholas und ließ sich
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