Das Wispern der Schatten - Roman
Schmerzen? Soll ich dir etwas dagegen geben?«
Freda blinzelte, während sie versuchte, die Geräusche und Fragen der Frau zu verstehen. Ihre Stimme erinnerte Freda an einen der Käfigvögel, die die Bergleute benutzten, um unsichtbares Gas aufzuspüren. Vielleicht trug die Frau einen solchen Vogel in sich, der nach Gas suchte? Nein, das wäre albern gewesen. Die Federn hätten viel zu sehr gekitzelt. » Es hat wehgetan, als ein glänzender Speer hier in mich eingedrungen ist«, sagte Freda langsam und wies auf die Schulter, die Aufseher Altors Waffe durchbohrt hatte.
Die Frau runzelte die Stirn und stellte sich auf die Zehenspitzen, um die Wunde zu begutachten. » Ich… äh… Die Wunde scheint recht gut zu heilen. Aber der Felsaussatz beeinträchtigt doch sicher deine Beweglichkeit und die Flinkheit deiner Gedanken, nicht wahr, meine Liebe? Du bist langsam, oder?«
» Ich bin nicht langsamer als alle anderen auch, denke ich«, brummte Freda, nachdem sie ernsthaft darüber nachgedacht hatte. » Ich suche Jan. Hast du ihn gesehen? Ist er hergekommen? Ich möchte Jan für Norfred finden. Norfred ist Jans Vater.«
Die Frau hörte aufmerksam zu und nickte verständnisvoll. » Ich verstehe. Jan also? Ich kann mich nicht an einen Jan erinnern, aber hier kommen viele durch, die nicht länger als ein oder zwei Wochen bleiben. Sie erhalten eine Grundausbildung mit Schwertern, Speeren, Wurfspießen und dergleichen und werden dann gewöhnlich nach Osten geschickt. Es heißt, dass keine Ausbildung mit dem Ernstfall zu vergleichen ist, verstehst du? Ich nehme an, das trifft zu, aber es bricht mir das Herz, mit anzusehen, wie so viele unserer jungen Leute ausziehen, um sich den fürchterlichen Barbaren entgegenzustellen. Oh, und dann gibt es da noch einige, die ich nicht einmal zu sehen bekomme, weil sie geradewegs zum Großen Tempel geschickt werden. Ist dieser Jan gutaussehend?Wenn ja, dann ist es durchaus wahrscheinlich, dass er das Glück hatte, dazu auserkoren zu werden, im Großen Tempel zu dienen.«
Gutaussehend? Freda konnte das nicht beantworten, da sie Jan nie gesehen hatte. Außerdem konnte sie kein Urteil über solche Dinge fällen. War Norfred gutaussehend gewesen? Sie wusste es nicht. Er war freundlich gewesen, aber das musste etwas anderes sein, denn es war ein anderes Wort. Was sie wusste, war nur, dass sie selbst hässlich war. Das sagten alle. » Er ist nicht wie ich«, murmelte Freda.
Die Frau nickte. » Schau mal, warum gehst du nicht hin und fragst den Musterungsoffizier? Er weiß sicher, ob dieser Jan nach Osten oder nach Süden gegangen ist. Es wird Buch darüber geführt, für den Fall, dass jemand verschwindet, wenn er es nicht sollte. Es ist wichtig zu wissen, wie viele von hier abreisen und wie viele irgendwo ankommen, damit niemand einfach unbemerkt weglaufen kann, und deshalb führt man Buch über die Namen, körperlichen Merkmale und Herkunftsorte, damit man jemanden leichter wiederfindet, wenn er wirklich davonläuft. Komm, ich bringe dich zum Musterungsoffizier, wenn du möchtest.«
Freda wich zurück.
» Nun komm schon. Hab keine Angst. Niemand wird dir etwas tun, solange du unter meinem Schutz stehst. Mach dir keine Sorgen, die Männer springen, wenn ich es ihnen sage. Ich habe schon fast alle das ein oder andere Mal behandelt, wenn sie die geschminkten Frauen in der Stadt aufgesucht und sich irgendeine Krankheit eingefangen haben. Was ich dir nicht alles erzählen könnte! Dann und wann kommt einer von ihnen händeringend und weinend zu mir, weil er eine Frau geschwängert hat und nun ein Gebräu braucht, damit das Kind nie zur Welt kommt. Diese Helden dürfen unter keinen Umständen eine Familie haben, verstehst du? Und die Strafe für Ungehorsam macht ihnen namenlose Angst. Sie haben alle schon von Männern gehört, die kastriert worden sind. Das ist gar nicht lustig, was?« Sie lachte leise. » Die Schlauen kommen natürlich zu mir, bevor sie die geschminkten Frauen in der Stadt besuchen. Ich gebe ihnen einen Trank, um sicherzustellen, dass sie gar nicht erst mit einer Frau ein Kind zeugen. Wenn sie den Trank weiter bekommen wollen, achten sie darauf, es sich nicht mit mir zu verderben– zumindest, wenn sie schlau sind, wie ich schon sagte. Also komm mit, Freda.«
Dieses eine Mal war Freda froh, ein steinernes Gesicht zu haben, sodass die Hitze und die verlegene Röte, die die Worte der Frau in ihr auslösten, sie nicht beschämen konnten. Sie hatte nicht alles verstanden, aber
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