Das Wispern der Schatten - Roman
überlegt. Dort oben vor uns liegt eine kleine Höhle, in der wir uns ausruhen können. Hoch mit dir! Komm, ich helfe dir auf.«
» Gelobt seien die Erlöser!«, murmelte Prediger Praxis leise und behielt den sich zuziehenden Himmel aufmerksam im Auge.
Die Höhle war eng, aber mit einem Vorrat an trockenem Holz, Feuerstein und Feuerstahl ausgestattet. Torpeth entzündete ein kleines Feuer und musterte den zitternden Prediger. » Ich nehme an, du bist noch nicht überzeugt, oder?«
» Pah! Durch das launische Wetter überzeugt? Was für ein Mann wäre ich, wenn ich meinen Glauben mit den Jahreszeiten wechseln würde?«, antwortete der Prediger hochmütig, wenngleich die Wirkung durch seine klappernden Zähne verdorben wurde. » Ich täte besser daran, dich zu fragen, warum du in deiner heidnischen Verehrung der Unwägbarkeiten des Wetters verharrst. Sie hält dich beschränkt und unwissend. Du beschäftigst dich mit nichts sonst, beschneidest willentlich deine Fähigkeiten und verwehrst dir die Erleuchtung. Du lebst in einer dunklen Höhle der Verderbtheit.«
Torpeth starrte eine ganze Weile grübelnd in die dürftigen Flammen vor ihnen. Dann seufzte er. » Ich habe versprochen, dir Geheimnisse zu enthüllen, Flachländer, nicht wahr? Dann wisse, dass ich die Götter nicht aus unbegründeter Furcht und unverständigem Glauben an die Geschichten, die mein Volk sich erzählt, verehre, sondern weil ich die Götter schon lange kenne. Einst war ich ihr Lieblingssohn– vor sehr, sehr langer Zeit. Bevor die Anderen kamen, die du als deine Erlöser kennst, führte ich alle Menschen in ihrer Verehrung der Götter und des Geas an.«
» Was für ein Hirngespinst ist das denn?«, lachte der Prediger. » Vor dem Kommen der Erlöser gab es nichts von Bedeutung.«
» Man nannte mich Torpeth den Großen.«
» Du hattest sicher wahnsinnige Visionen und dämonische Erscheinungen, die dir diese veränderte Geschichte des Reichs eingegeben haben. Ich lasse mich nicht so leicht in die Irre führen.«
Torpeths Augen blickten in weite Ferne. » All die Jahre des Kriegs und der Eroberung hindurch war ich davon überzeugt, die gerechte Sache zu vertreten und ein ewiges, heiliges Reich zu errichten. Ich war sicher, ein perfektes, unsterbliches Volk schaffen zu können. Die Götter waren natürlich dagegen und versuchten mich zu warnen, aber in meinem Hochmut glaubte ich, dass sie einfach nur ihre Macht über das Volk eifersüchtig bewahren wollten. Mittlerweile weiß ich, dass Unsterblichkeit nicht in der Natur des Geas liegt. Ich war verblendet.«
» Das warst du in der Tat und bist es immer noch, Heide.«
Torpeths Augen wurden feucht. » Vielleicht. Und so war der Zusammenbruch all dessen, worum ich gekämpft hatte, unvermeidlich. Ich habe dem Volk unvorstellbaren Schaden zugefügt.« Seine Stimme begann zu zittern. » Nicht auszudenken, wie viele unter meiner Tyrannei gestorben sind. Ich habe das Volk, die Götter und das Land gebrochen!« Er stieß einen wortlosen Verzweiflungsschrei aus. Tränen strömten ihm über die Wangen. » Ich war es, der es den Anderen so leicht gemacht hat. Ich habe es immer wieder versucht, war aber nicht in der Lage, irgendetwas zurückzugewinnen. Ich habe das Ende meines Volks nur beschleunigt.«
» Albträume, das ist alles, Heide. Du kannst gar nicht so alt sein. Nur die Erlöser sind ewig.«
Torpeth nickte. » In vielerlei Hinsicht bin ich noch nicht alt, was mein Verständnis angeht. Ich bin ein bloßes Kind. Aber es ist wahr, dass ich schon lange vor den Anderen da war. Es ist meine Strafe weiterzuleben und den Zusammenbruch all dessen mit anzusehen, wonach ich gestrebt habe, den Sturz der Götter, die Unterdrückung meines Volks durch die Anderen und unseren langsamen Niedergang hier in den Bergen. Das Geas hat beschlossen, dass ich des Todes und der Erneuerung nicht würdig bin. Die Götter haben ihr Antlitz von mir abgewandt. Mein Volk nennt mich zuweilen den heiligen Mann, aber man verehrt mich nur so sehr, wie man mich hasst, verspottet und bemitleidet. Die Leute wissen, was ich bin. Sie wissen um meine Schande, denn sie hat ihre Lebensweise bestimmt. Sogar die Ziegen fliehen meine Gegenwart.«
» Aber verstehst du denn nicht, Heide? Du tust nichts anderes, als deinen ursprünglichen Fehler am Leben zu erhalten. Deshalb setzt sich der Niedergang fort. Deshalb hat deine Verderbtheit kein Ende. Du bist der heilige Mann deines Volkes und damit der Angelpunkt von Überlieferung und
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